Differentialdiagnose dekompressionskrankheit: $$ neurologische ausfälle bei einem piloten nach einem transatlantikflug

Differentialdiagnose
Dekompressionskrankheit
Neurologische Ausfälle bei einem Piloten nach einem
Transatlantikflug

C. Frigg a, J. Stepanek b, A. Gmür c, J. Suter d Fallbericht
derzulegen (unkenntliche Handschrift). Amnächsten Tag fiel es ihm schwer, ein Schrift- Anamnese
stück auf seinem PC zu erstellen, ohne eine Viel- Ein 60jähriger, erfahrener Privatpilot trat in der Funktion eines Copiloten in einem vier- In der persönlichen Anamnese findet sich eine plätzigen Mooney Sportflugzeug (ohne Druck- mit Allopurinol (Zyloric®) behandelte Gicht kabine) einen Transatlantikflug aus den USA gegen Osten hin an. Der Flug dauerte 4 Stun- Nach seiner Rückkehr nach Hause ging der den, wovon 3 Stunden auf einer Flughöhe Pilot zur weiteren Untersuchung seiner Sym- von 17 000 Fuss (5577 m) geflogen wurden.
ptome zum Arzt (Facharzt für Neurologie).
Während dieser Zeit erfolgte die Sauerstoffgabeüber eine nasale Sauerstoffbrille. Darauf folgte Körperliche Untersuchung
eine Episode von 30 min ohne künstliche Sau- erstoffzufuhr auf 19 000 Fuss (6234 m) und kg/m2), afebril, Blutdruck rechts 125/85 mm Hg, Puls 80/min, regelmässig, Arteriae caroti- (4593 m) mit nachfolgender Landung innert 20 des beidseitig gut palpabel ohne auskultato- min auf Meereshöhe. 5 min nach der Landung rischen Befund. Angabe einer leicht vermin- fiel dem Piloten die Brille zu Boden. Er wollte derten Oberflächensensibilität im Bereich der diese mit der rechten Hand aufheben, was ihm rechten Gesichtshälfte bei symmetrischer Ge- wegen einer Schwäche des rechten Armes nicht sichtsmimik. Keine sprachlichen Auffälligkei- gelang. Schliesslich ergriff er sie ohne Probleme ten. Positionsversuch normal. Diadochokinese mit seiner linken Hand. Weiter fiel auf, dass ein beidseits flüssig. Bizepssehnenreflex und Ra- Gespräch mit dem «Pilot in command» für etwa diusperiostreflex mittellebhaft und symme- 2 Minuten wegen einer motorischen Aphasie trisch. Angabe einer leicht verminderten Ober- nicht möglich war. Nachdem sich der Pilot in flächensensibilität im Fingerbereich rechts.
ein Gebäude begeben hatte, konnte er nur müh- sam eine Kaffeetasse in seiner rechten Handhalten, ohne den Inhalt zu verschütten. Infolge Klinisch-chemische Untersuchungen
Cholesterin: 5,08 mmol/L (Norm <6,2); HDL: seine linke Hand zu Hilfe nehmen. Sein Sprach- 0,98 mmol/L; Chol / HDL = 5,3 (Norm <4,4); vermögen war während der darauffolgenden 3 Stunden merklich gestört, schien sich aber im Gerinnungsabklärung: Keine Hinweise für APC-Resistenz und für Protein-C/S-Mangel.
Nach Ankunft im Hotel wiederholten sich die Normale Antiphospholipid-Antikörper-Titer, Schwierigkeiten mit seiner Sprache zweimal, jeweils über einen Zeitraum von 10 Minuten. Normale Schilddrüsenfunktionsteste (fT4, fT3, Am darauffolgenden Tag bestieg der Pilot als Passagier ein Linienflugzeug (Kabinendruck- höhe 8000 Fuss, 2600 m) und begann einen 1,5 Ergänzendende Untersuchungen
Stunden dauernden Flug. Während des Fluges MRI des Craniums: frischer ischämischer Hirn- bekundete er Schwierigkeiten, mitgebrachte infarkt des Gyrus postcentralis links, welcher Trauben mit seiner rechten Hand aufzunehmen sich bis zur Capsula externa ausdehnt (Abb. 1).
und diese zu seinem Mund zu führen. Des wei- Im übrigen altersentprechende Darstellung des teren hatte er ein subjektives Steifigkeitsgefühl Klein- und Grosshirns mit einzelner, unspezifi- c.frigg@freesurf.ch
im Bereich des rechten Mundwinkels und eine scher Leukenzephalopathie paraventrikulär stepanek.jan@mayo.edu
Unfähigkeit, seine Symptome schriftlich nie- bds., am ehesten vaskulärer Genese.
Abbildung 1.
Duplex Untersuchung der extrakraniellen Ge- fässe: normaler Fluss in beiden Karotiden, keine abnormen Befunde in den Arteriae ver-tebrales (guter Blutfluss in kranialer Strö-mungsrichtung), normale Flussverhältnisse inden Arteriae subclaviae.
Eine Untersuchung der peripheren venösenGefässe wurde aufgrund fehlender klinischerSymptome unterlassen.
Therapie und Verlauf
Eine thrombozytenaggregationshemmende The-
rapie mit Acetylsalicylsäure wurde eingeleitet.
Ein Jahr später wurde ein Kontroll-MRI des
Neurokraniums angefertigt (Abb. 2), welches
keine neuen vaskulären Läsionen zeigte; ledig-
lich die Residuen nach dem durchgemachten
Hirninfarkt im Bereich des linken Gyrus post-
centralis waren erkennbar. Der Pilot hat seit
dem Ereignis keine weiteren neurologischen
Ausfälle gehabt, fühlt sich wohl und fliegt nach
einer Pause von einem Jahr nach Überprüfung
seiner Lizenz als Privatpilot weiter. Neurologi-
sche Residualsymptome sind objektiv nicht
mehr nachweisbar; der Pilot verspürt nach wie
vor eine Beeinträchtigung seiner «Sprachge-
Abbildung 2.
wandtheit», welche im Gespräch nicht objektiv Ein Jahr später: Darstellung einesalten Infarktes im Bereiche des Gyrus postcentralis links. KeineHinweise auf neu aufgetreteneintrazerebrale Läsionen.
Diskussion
Differentialdiagnostisch wurde eine intrazere-brale Raumforderung ausgeschlossen. Herz-rhythmusstörungen oder Plaques der Karoti-den konnten nicht nachgewiesen werden, aus-gedehnte Gerinnungsabklärungen waren nor-mal. Ein offenes Foramen ovale ist ein Risiko-faktor für die Entwicklung gekreuzter Gasem-bolien, da die Gasblasen im venösen System,die normalerweise durch den «Lungenfilter»zurückgehalten werden, auf diesem Weg unge-hindert in die arterielle Zirkulation übertretenkönnen [1]. Das sog. «economy class syn-drome», bei dem es während langen Flugrei-sen bei sitzenden Personen in den Beinenwegen Stase zur Thrombenbildung kommt,konnte nicht mit letzter Sicherheit ausge-schlossen werden.
Da sich der Patient erst eine Woche nach Auf-treten der Symptome in ärztliche Behandlung begeben hatte, konnte die Verdachtsdiagnose einer Dekompressionskrankheit Typ II nicht Belastungs-EKG: Keine Hinweise auf Patholo- In der Literatur findet man Arbeiten, die den Zusammenhang von Hirnläsionen bei gleich- TEE (Transösophageale Echokardiographie): bei Sporttauchern aufzeigen [2]. In der darstel- offenes Foramen ovale, Grösse nicht quantifi- lenden Bildgebung zeichnen sich die cerebra- zierbar, mit Übertritt von Kontrastmittel von len Defekte durch multiple Mikroinfarkte aus.
rechts nach links, keine Thromben, ansonsten Leider wurde bis anhin noch nie ein entspre- chendes Kollektiv Piloten diesbezüglich unter- sucht. Interessant wäre zu wissen, ob es dabei Danksagung
wegen des geringeren Stickstoffgradienten und Gerne möchten wir Herrn Dr. X. Jordan und anderen physikalischen Grössen unter Um- Herrn Dr. S. Huber für die Durchsicht dieses Ar- ständen zu einer unterschiedlichen Gasblasen- tikels, für Ihre Anregungen und Ergänzungen Dynamik kommt und deshalb andere Infarkt- muster auftreten. Eine höheninduzierte De-kompressionskrankheit manifestiert sich oftdurch zerebrale Infarkte, eine durch Tauchenhervorgerufene Dekompressionskrankheit hin-gegen mehrheitlich durch spinale Ausfälle.
Literatur
patent foramen ovale. BMJ 1997;314:701–5.

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