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Tukuche Peak Expedition – Vom Winde verweht? Expeditionsbericht von Ingo Röger im Dezember 2008
Der Poon Hil ist für nepalesische Verhältnisse ein Zwerg von einem Berg. Dennoch gehört er zu den meistbestiegenen Gipfeln. Bei Sonnenaufgang tummeln sich dort al morgendlich hunderte Touristen. „Schuld“ ist das einzigartige Bergpanorama - zigtausendfach fotografiert der Anblick der makel osen Ost-wand des Dhaulagiri (8167 m) im Morgenrot. Obwohl ich noch nie dort war, fasziniert mich dieses Panorama, gesehen in Büchern und Katalogen, seit Jahren. Auf den meisten Bildern ist auch der nördliche Trabant des Dhaulagiri, der Tukuche Peak (6920 m) - eine formschöne Gletscherpyramide - zu sehen. Dieser Berg hatte meine Neugier geweckt. Einmal dort oben stehen, unmittelbar im Angesicht eines der höchsten Gipfel der Erde, wurde mein Traum - die Idee dieser Expedition war geboren. Im Herbst 2008 wird dieser Traum Realität. Acht Freunde konnte ich dafür begeistern. Eine Trekkinggruppe begleitet uns auf dem zehntägigen Marsch ins Basislager. Fast 100 Personen umfasst unsere Begleitmannschaft aus Trägern, Köchen und Führern: Zwei Frauen und sieben Männer: Unsere Höhenerfahrungen und die Erwartungen an diese Tour sind breit gefächert. Gemeinsam gilt es, drei Wochen in großer Höhe zuzubringen: Kälte, Sturm und dünner Luft zu trotzen. Ein gemeinsames Ziel zu verfolgen. Füreinander dazusein. Wir sind gespannt. Al en voran Erik Anders, der jüngste Teilnehmer; erstmals im Himalaya unterwegs. Entsprechend gewissen-haft seine Vorbereitung. Als Physiotherapeut medizinisch „vorbelastet“, schlüpft er selbstbewusst in die Rol e des Sanitäters. Schon beim Trekking ins Basislager hat er al e Hände vol zu tun. Egal, ob verlorene Zahn-fül ungen, böse Schnittverletzungen oder Knieprobleme eines Trägers: Erik kann helfen. Beim Eintreffen im Basislager ist es dann leider Erik selbst, der Hilfe bedarf. Beim Überschreiten des French Pass’ (5360 m) verspürt er Anzeichen der Höhenkrankheit. Nach nur einer Nacht im Basislager (5050 m) verlässt er uns schweren Herzens und schließt sich der weiterziehenden Trekkinggruppe an. Traurig nehmen wir Abschied. Mit jedem abgestiegenen Meter geht es Erik besser, bald ist er wieder wohlauf. Mit der englischen Sprache am besten vertraut, ist es Stefan Herrmannspahn, der im Vorfeld den Mail-verkehr mit unserer Agentur in Kathmandu (www.adventuregeotreks.com) souverän abwickelt und dabei al e anstehenden Fragen klärt. So ist er auch prädestiniert für den Posten des Expeditionsleiters. Am Berg ist ihm leider das Glück nicht hold: Einige Tage ist er vol er Elan am Errichten der Hochlager beteiligt. Dann erwischt ihn ein heimtückischer Infekt, der ihn fortan zum Zuschauen verdammt. Einmal von der Idee begeistert, ist auch Uwe Erkelenz, unser Kameramann, vol er Energie dabei. Er pflegt unsere Homepage (www.unsereberge.de) und verwaltet die Finanzen, um nur zwei Dinge zu nennen. Mit gleicher Leidenschaft legt er auch in den Bergen los: beim Instal ieren einer Solaranlage ebenso wie beim Gipfelsturm. Mit der Gestaltung unserer Grußpostkarte beweist Hanna Hilsberg auch ohne Geige treffsicher ihre künst-lerische Ader. Wie motiviert sie ist, zeigt sie, als sie zu den Ersten gehört, die im Hochlager übernachten. Lars Neumann überrascht uns mit seiner Unbeschwertheit und Fitness. Unermüdlich übernimmt er Lasten-transporte in die Hochlager. Meist weiß er am besten Bescheid, welche Ausrüstung gerade in welchem Lager deponiert ist. In der zweiten Hälfte bremst ihn übler Höhenhusten aus - eine gebrochene Rippe ist die Folge. Manchmal gibt es Situationen, in denen niemand so recht weiterweiß. Dann ist es Jana Bogatin, die mit unorthodoxen Ideen eine Lösung präsentiert. Sie ist es auch, die bei den anspruchsvol sten Trekkingetappen auf dem Weg ins Basislager bei den Langsamsten geblieben ist, sie unterstützt und ihnen zu trinken gegeben hat. Begegnen wir erschöpften Trägern anderer Expeditionen, überrascht Jana auch diese mit einem Schluck Tee oder einem Stück Schokolade. Oft müssen wir mühsam durch tiefen und windverblasenen Schnee spuren. In diesen Situationen ist Bert Gust immer wieder bereit, an der Spitze der Mannschaft diese Kräfte raubende Aufgabe zu meistern. Hier zeigt er seine ausgezeichnete Kondition. Vor der Tour kümmerte er sich um die Beschaffung von Müsli, Fertignudeln und Expeditionsnahrung. Eine gut gefül te „Vorratskammer“ am Berg ist das Resultat. Hans-Peter Auerswald, der „Senior“ unserer Mannschaft, sorgt mit seinem einzigartigen Humor auch in stressigen Situationen für befreiendes Lachen. Manchen Sponsor kann er mit seinem gewinnenden Wesen überzeugen und bescherte uns so beispielsweise eine Garnitur warmer Gratissocken. Ich war erstaunt, wie ich meine Mitstreiter von dieser Idee begeistern konnte. Es war spannend zu erleben, wie sich viele Aufgaben – gerade bei der Planung der Expedition – auf al e Schultern verteilt haben und so jeder auf seine Weise dazu beigetragen hat, unsere gemeinsamen Pläne Realität werden zu lassen. Tagebucheintrag 20. Oktober: Ein ganz normaler Ruhetag? Unser Koch hat gesundheitliche Probleme, er hat sich tagelang nicht gezeigt; sein junger Küchenhelfer ist mit unserer Versorgung auf sich al ein gestel t. Wir sorgen uns, wol en ihn Ärzten einer benachbarten Expedition vorstel en. Das Unheil nimmt seinen Lauf: Nach wenigen Metern bricht der Koch zusammen. Wir bringen ihn in unser Mannschaftszelt, geben ihm heißen Tee. Die erschütternde Diagnose der herbeigeeilten Ärzte: Lungenödem; seine Lunge ist zu drei Vierteln mit Wasser gefül t. Ohne Hilfe wird er die kommende Nacht nicht überleben! Flaschensauerstoff und eine Luft-druckkammer kommen zum Einsatz. Der Koch erhält Diamox, ein Medikament gegen Höhenkrankheit. Zeit verrinnt, der Zustand stabilisiert sich leicht. Der Koch muss dennoch schnel stmöglich in tiefere Lagen ge-bracht werden. Der Versuch, über Satel itentelefon einen Helikopter zu organisieren, scheitert. Sechs Träger sind bereit, begleitet von Uwe und mir, ihn in sichere Höhen zu bringen. 17 Uhr. Wir packen das Nötigste in unsere Rucksäcke, keine Kochausrüstung. Stattdessen je drei Thermos-kannen mit heißem Tee, Snacks und Süßigkeiten. Wir ziehen dem Koch unsere warme Kleidung an. Mit Einbruch der Nacht starten wir ins Ungewisse. Zunächst 200 Höhenmeter hinauf zum Dhampuspass (5250 m). Dabei entlasten uns Peter und Lars: sie schleppen unsere Rucksäcke zum Sattel. Oben muss der Koch pinkeln – ein gutes Zeichen. Er wird in einer Kiepe aus Korbgeflecht getragen. Sauerstoff können wir nur verabreichen, wenn wir stehen: zu kurz ist der Versorgungsschlauch, zu schnel gehen die Träger durch die Nacht. Immer wieder rutscht der Schlafsack, der den Koch wärmen sol , herunter. Die Träger verstehen kaum Englisch. Im Licht der Stirnlampe suchen wir fieberhaft den richtigen Weg. Manchmal wird das Gesicht des Kochs von den Trägern mit dem Schlafsack verdeckt. Wir müssen ständig aufpassen, dass seine Atem-wege frei sind. In den Pausen geben wir ihm Tee und Flaschensauerstoff. Ich fühle seine Wange: sie ist kalt. Zunehmend kühlt er auf der Kiepe in der eisigen Nacht aus. Ich ziehe ihm meine Daunenjacke über. Das Tragen der Kiepe in der Dunkelheit ist schwierig. Die Träger wechseln die Taktik. Einer al ein trägt nun den Koch ein kurzes Stück ähnlich dem Huckepack auf dem Rücken, nur mit einem breiten Band über seiner Stirn gehalten. In kurzen Abständen wechseln die Träger einander ab. Ein scheinbar endloses – nervenaufreibendes und Kondition fressendes - Auf und Ab in knapp 5000 Metern Höhe; nur hinunter in rettende Höhenlagen geht es nicht! Dann endlich, nach über vier Stunden der ersehnte Tiefblick 2400 Höhenmeter hinab ins Kali Gandhaki, das tiefste Tal der Erde. Über steile Geröl hänge und Almwiesen stolpern wir hinunter. Die Träger legen in der Dunkelheit ein atemberaubendes Tempo an den Tag. Wir können kaum folgen. Mit jeder Minute geht es dem Koch besser – wir schöpfen Hoffnung. Kurz vor Mitternacht erreichen wir auf 4000 Metern Höhe das Lager „Yak Kharka“. Der Koch ist (im doppelten Sinne) über den Berg! Unsere Hoffnung ist zur Gewissheit geworden. Bei unserer Ankunft im Basislager präsentierte sich das Hidden Val ey - anders als erwartet - tief verschneit. Von weidenden Yakherden keine Spur. Die den weitläufigen Talkessel begrenzenden Übergänge, der French- und der Dhampuspass, erweisen sich an den Folgetagen als markante Wetterscheide. Feuchte Luft aus dem Tiefland drückt von Süden über die Berge. Nach wenigen hundert Metern lösen sich die Wolken in der trockenen, kontinental geprägten Luft des Hidden Val ey auf. So haben wir im Basislager viel Sonne. Diese Luftmassengrenze ist tagtäglich auch der Motor für stürmische Winde. Neun Kräfte zehrende Tage benötigen wir, um im eisigen Sturm mühsam unsere Spuren im windverblasenen Schnee zu ziehen und in Etappen zwei Lager (5600 m und 6200 m) zu errichten. Andere Expeditionen brechen dieser Tage erfolglos ihren Besteigungsversuch ab. Wir haben Zeit und warten auf bessere Schneeverhältnisse. Am 24. Oktober erreichen zunächst zwei Slowenen den Westgipfel (6848 m). Sie sichern den fünfhundert Meter hohen Steilaufschwung zum Gipfelplateau stel enweise mit Fixseilen, die auch wir nutzen dürfen. Tags darauf sind Peter und Uwe bereit für den Gipfelsturm. Beide erklimmen das Firnplateau. Sie gehen auf Nummer sicher und folgen den frischen Spuren zum Westgipfel. Uwe geht voran und erreicht al ein diesen grandiosen Aussichtspunkt vis-a-vis des Dhaulagiri. Der Hauptgipfel bleibt in dieser Saison unbestiegen. Paral el dazu versuchen wir uns gegen Ende der Expedition an kleineren Bergen rund um das Basislager: Hanna, Jana und Peter betreten am 22.10. den Gipfelgrat des Dhampus Peak (6012 m). Südlich davon steht ein attraktiver, aber namenloser Berg (5883 m). Am 23.10. breche ich al ein auf. Die Route über den Nordgrat ist klar vorgegeben, einzige Schwierigkeit ist ein Firnwändchen (65°) am Gratbeginn. Am Gipfel tol e Blicke in die nahe Ostwand des Tukuche Peak und über das wolkengefül te Kali Gandhaki hinweg zur Annapurna (8091 m), dem ersten Achttausender, der je bestiegen wurde. Zwei Tage später breche ich erneut al ein auf. Ziel ist der Südgipfel (6339 m) des Hongde - bereits im Königreich Mustang gelegen. Die Tour ist lang und mühsam, technisch aber einfach. Nach siebeneinhalb Stunden erreiche ich den Gipfel. Der Blick reicht weit in die Hochebenen Tibets hinein. Im Süden eindrucksvol die Gipfelparade von Dhaulagiri und Tukuche Peak. Vier Tage später und viertausend Meter tiefer – in einer Wirtschaft in Marpha - geht unsere Expedition bei Apfelbranntwein und Kuchen unwiederbringlich zu Ende. Ingo Röger 12-2008

Source: http://www.geotreks.de/teuchi/tukuche_peak_roeger.pdf

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