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Aus der Politik


Als der Vorhang nach dem bewegten ersten Akt des deutschen Nachwahl-
dramas endlich fiel, waren drei Dinge klar: Erstens wird Gerhard
Schröder definitiv von der bundespolitischen Bühne abtreten, zweitens
dürfte die CDU-Vorsitzende Angela Merkel die erste Regierungschefin
der deutschen Geschichte werden - aber drittens haben sich die Sozi-
aldemokraten in der künftigen Grossen Koalition mit acht von 14 Fach-
ministern eine politische Mit-Leitungsfunktion erobert. Der enorme
politische Preis, den Merkel für das Einlenken der SPD zahlen musste,
hat bereits den Spott provoziert, sie werde "christdemokratische
Kanzlerin einer sozialdemokratischen Regierung" sein. Das fragile
Projekt Grosse Koalition, dessen inhaltliche Details jetzt erst aus-
gehandelt werden müssen, kann immer noch vorzeitig scheitern, denn am
Ende braucht es den Segen der Parteitage beider Partner.
Das gewaltige Erdbeben in Kaschmir, das in erster Linie pakistani-
sches, aber auch indisches und afghanisches Gebiet verwüstete, hatte
bei allem grenzenlosen Elend wenigstens eine kleine positive Neben-
wirkung: Die Rivalen Indien und Pakistan, die noch vor wenigen Jahren
am Rande eines Krieges standen, sind sichtlich näher zusammengerückt.
Das viel weniger hart getroffene Indien unterstützt den Nachbarn mit
grosszügiger Hilfe. Die konsequente Politik der Deeskalierung und
Normalisierung, die beide Länder seit einiger Zeit verfolgen, scheint
sich in der Not zu bewähren.
Spanien, Marokko, die Europäische Union und ein Heer verzweifelter
Schwarzafrikaner, die ihr Glück im gelobten Europa versuchen möchten,
sind in ein Drama verwickelt, das eine politische Wende provozieren
könnte. Unter dem pausenlosen Ansturm auf die spanischen Exklaven
Ceuta und Melilla musste Madrid schweren Herzens seine bisher eher
grosszügige Einwanderungspolitik drastisch verhärten. Aber allen ist
klar geworden, dass das Problem nur mit einer kohärenten Afrika-Poli-
tik ganz Europas zu bewältigen ist.
Konsequenzen einer Grippe-Pandemie

Grippe ist eine ernst zu nehmende Erkrankung, die typischerweise wäh-
rend der Wintermonate auftritt und zu einer Epidemie oder Pandemie
führen kann. Im 20. Jahrhundert wurden mehrere verheerende Grippe-
pandemien verzeichnet. Experten sind der Ansicht, eine weitere Pande-
mie stehe unweigerlich bevor, und es sei nur eine Frage der Zeit,
wann sie ausbrechen wird. Ein möglicher Auslöser könnte das Vogel-
grippe-Virus H5N1 sein, welches derzeit in Asien zirkuliert und sich
rasant Richtung Westen ausbreitet. Letzte Hinweise deuten auf einen
Ausbruch der Vogelgrippe in der Türkei und Rumänien bei Geflügel hin.
Die Erfahrungen in Südostasien lassen darauf schliessen, dass sich
das Virus nur schwer von Vögeln auf Menschen überträgt. Sollte das
H5N1-Virus aber die Fähigkeit erwerben, Menschen einfach zu infizie-
ren und sich von Mensch zu Mensch auszubreiten, könnte eine Grippe-
pandemie die Folge sein. Gegenwärtig werden in den industrialisierten
Ländern Pflichtlager von anti-viralen Medikamenten (Tamiflu, Roche;
Relenza, GlaxoSmithKline) aufgebaut, welche aber höchstens für ca.
20% der Bevölkerung ausreichen würden (USA zurzeit nur 2%). Die In-
dustrie entwickelt derzeit einen Impfstoff gegen das aviäre H5N1-
Virus, wobei aber erst vorläufige klinische Resultate vorliegen. Man-
gels ausreichender Produktionskapazitäten bei anti-viralen Medikamen-
ten und Grippeimpfstoffen könnte der Ausbruch einer Pandemie ernst-
hafte Versorgungsengpässe zur Folge haben.
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Wochenbericht Nr. 40
Der Blick über die Schulter
Tradition und Zeitgenossenschaft in einer gespaltenen Kunstwelt

Noch nie haben so viele Menschen Ausstellungen, Theater und Konzerte
besucht und noch nie haben sie ein so gespaltenes Bild zu sehen be-
kommen: Ein Riss geht durch die Kultur und er trennt auf der einen
Seite ein grosses kulturelles Erbe, das unter seiner Medialisierung
zu ersticken droht und immer stärker museale Züge annimmt, und auf
der anderen die geschäftige Leere einer Dauer-Avantgarde. Musiklieb-
haber suchen verzweifelt das Land der Seligen zwischen Vivaldis "Vier
Jahreszeiten" und John Cages sterilen Spielereien, Amateure der bil-
denden Künste verzehren sich danach, der ewigen Wiederverwertung
grosser Meisterwerke etwas anderes entgegenstellen zu können als eine
leere Galerie, in der periodisch das Licht ausgeht (sie gewann den
britischen Turner Prize 2001 und ist, wie könnte es anders sein, eine
Metapher auf Leben und Tod).
Warum aber fehlen gerade in der Musik und in der bildenden Kunst oft
(aber mit rühmlichen Ausnahmen) jene Künstler, welche die westliche
Tradition als ihre Herkunft und Herausforderung ansehen und daraus
Werke für unsere Gegenwart schaffen? Liegt es daran, dass diese Tra-
dition einer anderen Zeit angehört und uns nichts mehr zu sagen hat?
Um es vorwegzunehmen: Wenn sie uns nichts mehr zu sagen hätte, wären
uns die grossen Werke der Vergangenheit gleichgültig. Trotzdem aber
verlangt es uns nach einer Kunst, welche die grossen Themen unserer
Kultur so zeitgenössisch aufnimmt, wie es Künstler schon immer getan
haben, eine Kunst aus unserem lebendigen Umkreis, in der wir uns un-
mittelbar wieder erkennen, die uns herausfordert und bereichert.
"Wir sind alle Späte": Die Bürde der Tradition
Der Blick über die Schulter, das Gewahrwerden der Meisterschaft, die
scheinbar die bestehenden Formen bis auf den letzten Millimeter aus-
gelotet und alle Gesten längst definiert hat, hat unzählige Künstler
gelähmt. Das ist kein neues Phänomen: Die Römer fühlten sich so ge-
genüber den Griechen, die Scholastiker sahen sich - in den Worten von
Peter von Blois - als "Zwerge auf den Schultern von Riesen"; und seit
der Renaissance wurde alle bildende Kunst am antiken Erbe gemessen.
Alles ist schon einmal da gewesen, alles ist schon einmal eleganter
und besser gesagt worden. Und nach zweieinhalb Jahrhunderten grosser
Literatur wird es eng für den Schriftsteller heute, der eine eigene
Stimme sucht. Glücklicher Goethe, der praktisch konkurrenzlos einen
deutschen Liebesroman schreiben konnte!
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Wochenbericht Nr. 40
Dass sich um 1900 viele Künstler von der klassischen Tradition lös-
ten, ist auch eine Folge der industriellen Revolution, deren neue,
technologisch geprägte Wirklichkeit nach anderen Antworten verlangte,
als es ein klassisches Pantheon zu liefern schien. Eine neue Realität
und die Erfahrung zweier Weltkriege verlangten nach einer Repräsenta-
tion jenseits einer Tradition, deren Formensprache ausgereizt schien.
Was blieb, ist Pastiche, Neuordnung oder Imitation, ironischer Kom-
mentar oder wütender Ikonoklasmus. Neue Formen mussten gefunden wer-
den und wurden gefunden: serielle Musik, Zwölftonreihen, Zufallsgene-
ratoren. Diese konzeptuelle Kunst vermeidet den Blick über die Schul-
ter, indem sie die Perspektive in den Künstler selbst verlegt und
seinen Horizont, seinen "point of departure" zum Ursprung aller Kunst
erhebt. Damit ist der Bruch vollzogen, die Freiheit, so scheint es,
wiederhergestellt. Aus der Avantgarde wurde rasch Orthodoxie: Wer
nicht teilnahm an dieser Bewegung, hatte es schwer, Aufträge und Un-
terstützung zu bekommen, ausgestellt und gespielt zu werden.
Gelangweiltes Schulterzucken und soziale Pflichterfüllung

Das Problem ist, dass diese Kunst, die heute oft mit beträchtlichen
Subventionen gesegnet ist, es über ein Jahrhundert hinweg nicht ver-
mocht hat, ihr Publikum zu überzeugen. Zwar gibt es die diejenigen,
die am Altar von Stockhausen, Holliger und Boulez weiter ihre Opfer
bringen. Ein weiteres Publikum aber, das aus durchaus intelligenten,
weltgewandten und offenen Menschen besteht, konnte und kann sich in
diesen Klangwelten nicht wiederfinden, ebenso wie es den Grossteil
der heutigen bildenden Kunst der neuen Szene höchstens mit gelang-
weiltem Schulterzucken oder aus sozialer Pflichterfüllung wahrnimmt.
Horizonte wurden erweitert und einige interessante Werke geschaffen,
aber letztendlich ist die Beziehung zwischen Öffentlichkeit und kon-
zeptueller Kunst ohne Leidenschaft geblieben. Nicht umsonst werden
serielle Musikstücke in vielen Konzerten in der Mitte programmiert:
So kann man nicht einfach später kommen oder früher gehen.
Ist das Philistertum? Nein, denn die zeitgenössische konzeptuelle
Avantgarde lässt ihr Publikum hungrig. Zu oft fehlen Form, Grammatik
und die Ökonomie der Mittel. Konzeptuelle Kunst arbeitet viel mit Zu-
fall, mit mathematischer Permutation, oft sogar ohne besonderen äs-
thetischen Anspruch. Sie will Formen neu definieren oder das Konzept
der Form überhaupt in Frage stellen. Dabei sind künstlerische Formen
zwar vielfältig, aber nicht beliebig. Wir (Abendländer) wollen die
narrative Entwicklung, die Dialektik der Sonatenform, den struktu-
rierten Raum. Wir suchen Aufbau und Auflösung von Spannungen in der
Musik, wie auch in der Literatur den erzählerischen Bogen, die Kompo-
sition in Bildern, den Formwillen in der Skulptur.
Der Grund hierfür liegt nicht im ästhetisch-bürgerlichen Konservatis-
mus, sondern in der evolutionären Biologie: Wir sind Kreaturen, die
in allem, was sie umgibt, potenziellen Nutzen oder Gefahren orten.
Wir suchen und schaffen Kausalität, Sinn und Bedeutung, selbst wenn
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Wochenbericht Nr. 40
die a priori vielleicht nicht besteht, und unser Gehirn ist über
Jahrhunderttausende dazu evoluiert, symbolisch zu denken. So wurden
aus Naturereignissen mythische Mächte, sprachen Dämonen und Götter
(und dann ein Gott) aus Vulkanen, Stürmen und Blitzschlägen; aus
meteorologischen Daten wurde himmlischer Wille. Das Englische
unterscheidet noch immer den beseelten "heaven" vom bloss natürlichen
"sky".
Existenzielle Absicherung in Struktur, Proportion und Harmonie

Künstlerische Form entspringt und entspricht diesem Verlangen, das in
unseren Hirnen, unserem Menschsein fest verankert ist. Kein Natur-
volk, keine Kultur erzählt unsinnige Geschichten oder schafft Totems
und Musik ohne Form, ohne mythische Dimension. Wir suchen Sinn und
Ziel, These-Antithese-Synthese, Anfang-Mitte-Ende überall in unserem
chaotischen Erleben. Wie Kinder, die sich immer wieder dasselbe
Märchen vorlesen lassen, suchen auch wir existenzielle Absicherung in
Geschichten, in Struktur, in Proportion und Harmonie (was nicht
heisst, dass jedes Kunstwerk schön sein muss: Auch Ablehnung ist eine
intensive Beziehung). Kunst gibt Form, verspricht uns, dass hinter
diesem Chaos eine Ordnung steht, dass keiner Katastrophe ihre Kathar-
sis verweigert wird, dass es sich lohnt, zu hoffen und zu leben.
Um Kunstwerke lesen zu können, um Sinn zu erkennen, bedarf es eines
Alphabets, einer Grammatik, die Künstler und Betrachter teilen. Diese
Grammatik liegt im mythischen Denken, dem Metaphernfundus unserer
Kultur, der uns seit den ersten Ritualen der Steinzeit (zoologische
Forschung findet Ansätze davon inzwischen unter Primaten) zur zweiten
Natur geworden ist.
Der offensichtliche Vorteil des künstlerischen Schaffens aus der Tra-
dition (oder gegen sie, niemals aber im leeren Raum) ist die metapho-
rische Evidenz der gemeinsamen Mythen, der Assoziationsreichtum, der
sich für den Leser, die Betrachterin, den Zuhörer ergibt: Eine Frau
mit einem Baby auf dem Arm wird im Westen immer eine Madonna sein und
die Tatsache, dass es eine Isis aus dem Mittleren Reich ist, eine
Skulptur von Tillmann Riemenschneider oder ein Gemälde von Giovanni
Bellini, dass ein expressionistischer Künstler sein Kind im Spani-
schen Bürgerkrieg verhungert darstellt oder ein Pressefotograf eine
Frau in Vietnam oder Afghanistan fotografiert, gibt dem Bild enorme
Resonanzen, macht es gleichzeitig uralt und unmittelbar gegenwärtig.
Jede Madonna ist alle Madonnen. Für Künstler ist die Tradition daher
immer auch ein enormer Klangboden gewesen, ein komplex gewachsenes
Instrument, auf dem jeder Ton gesättigt ist von Obertönen, Erinnerun-
gen und Echos.
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Wochenbericht Nr. 40
Aus dem Spannungsfeld von Mythos und Zeitgenossenschaft

Diese mythischen Bilder bestimmen bis heute sogar die konventionells-
ten, kommerziellsten der Träume Hollywoods. Der Terminator schützt
den jungen Weltenretter vor der Macht des Bösen, bis seine Stunde ge-
kommen ist, "Star Wars" hat seinen Heiland ebenso wie die "Matrix"
ihren Erwählten, der klassische Cowboy stellt die Weltordnung wieder
her. Schuld wird noch immer mit dem Tod gesühnt, die Macht des Bösen
muss, ganz in der Tradition des puritanischen Amerikas, immer wieder
aufs Neue besiegt werden. Dieser kulturelle Mythos lebt durch die
Tradition, die Kette der Neuinterpretationen oder, um mit Harold
Bloom zu sprechen, der "kreativen Missverständnisse" zwischen Vätern
und Söhnen. Deswegen war sie niemals, ist sie niemals statisch. Sta-
tisch ist nur, wer die Revolution von gestern zur heutigen Orthodoxie
erhebt. Kunst, die zu uns spricht, kann nur aus dem Spannungsfeld von
Zeitgenossenschaft und Mythos entstehen, ein ewig ambivalenter Ahnen-
kult.
Es ist illusorisch, diese historische Grammatik plötzlich abschütteln
und eine neue Sprache finden zu wollen. Wer sich abschneidet vom ge-
meinsamen Repertoire an Bildern, Klängen und Gesten, von der Sprache,
die wir alle teilen und die immer wieder aufs Neue hinterfragt und
unterwandert werden will, verliert allen Kontakt zur Aussenwelt. Kon-
zeptuelle Werke wie serielle Musik sind deswegen stricto sensu keine
Kunst. Das ist kein Werturteil, sondern nur eine Frage der Defini-
tion: Ihre Schaffung ist vielleicht ein faszinierender und wichtiger
intellektueller Prozess, aber er entspricht nicht den Kriterien, die
bis dahin für alle Kunst galten (die erlebbare Form, die mytholo-
gische Grammatik), ohne die der Kunstbegriff sinnlos ist. Vielleicht
brauchen wir hier einen neuen Terminus, denn Kunst ist eben nicht,
wie Andy Warhol in Anlehnung an Kurt Schwitters behauptete, "alles,
was ein Künstler tut".
Es darf nicht grundlos kompliziert sein
Das dritte Element ist die Ökonomie der Mittel. Durch die radikale
Verkürzung der erkenntnistheoretischen Perspektive auf die Person des
konzeptuellen Künstlers verschwinden die Zwischentöne und Resonanzen,
der mythische Reichtum. Um Kommunikation dennoch möglich zu machen,
muss die Botschaft entsprechend vereinfacht werden: Kunstwerke werden
zu blossen Allegorien. Ein auf den Kopf gestellter Jagdflieger der
italienischen Luftwaffe oder ein fünf Meter hoher Papierkorb mögen
verschiedene augenfällige Deutungsmöglichkeiten zulassen (ein an den
Haaren herbeigezerrter Ikarus etwa oder die Vergänglichkeit), aber
sie können sich letztendlich nicht hinwegsetzen über die Beliebigkeit
der Reize in unserer Informationsgesellschaft. Auch meterhoch und
millionenteuer bleiben es triviale Einfälle. Kunst wird zur Masche
und Kulturschaffende verdrängen den Fluch der Avantgarde, dass näm-
lich alles nur einmal neu sein kann.
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Wochenbericht Nr. 40
Das hat nichts damit zu tun, dass nur klassische Medien edel sind,
dass Kunst nur Kunst ist, wenn sie in Öl gemalt daherkommt. Das Re-
pertoire in Ausdruck und Mitteln hat sich durch neue Technologien
enorm erweitert; aber ein Kunstwerk zieht seine Existenzberechtigung
aus der Notwendigkeit seiner Mittel. Ockhams Rasiermesser ("Plurali-
tas non est ponenda sine necessitate" – Komplikation ist nicht ohne
Notwendigkeit zulässig) gilt auch für die Kunst: Eine Installation,
deren Aussage sich in einem einzigen Satz resümieren lässt, ist
überflüssig, denn der Satz allein genügt. Bloss allegorische Gegen-
stände, auch wenn gutes Handwerk in ihnen steckt, sind noch längst
nicht Kunst, sonst wäre jede gipserne Putte in einem barocken Park
ein Kunstwerk.
Kunst aber darf sich nie in Allegorie erschöpfen. Kein Rembrandt-
Selbstporträt, kein Klavierkonzert von Bach, kein Gedicht von Trakl
und kein Drama von Shakespeare lässt sich rein intellektuell erklä-
ren, da ihre Sprache nicht rein intellektuell ist. Dasselbe gilt für
die grossen zeitgenössischen Künstler: Wie liesse sich ein Werk von
Bill Viola, Anselm Kiefer, Pedro Almodóvar, Don DeLillo oder Alfred
Schnittke analytisch fassen? "Mein Vertrauen in die Zukunft der
Literatur beruht auf dem Wissen, dass es Dinge gibt, die nur die
Literatur uns geben kann, mit Mitteln, die nur ihr eigen sind",
schrieb Italo Calvino gegen Ende seines Lebens.
Was bleibt?
Wenn es aber nicht möglich ist, ohne Form, ohne Mythos und ohne In-
tegrität der Mittel Kunst zu schaffen, was bleibt dann? Die blinde
Rückkehr zur erdrückenden Tradition, die künstlerische und intellek-
tuelle Selbstkastration?
Was zuerst einmal bleibt, ist der Gegenstand der Kunst, unser Bedürf-
nis nach ihr. Solange wir lieben und scheitern und wissen, dass wir
sterben werden, interessieren uns Tragödien. Solange wir gegen Auto-
ritäten rebellieren, werden wir Komödien lieben. Solange wir Körper
haben, begehren und uns vor ihrem Altern fürchten, suchen wir uns
selbst im malerischen Blick darauf: im erotischen Beben eines Michel-
angelo, der resigniert-rebellischen Weisheit eines Rembrandt und dem
existenziellen Aufbegehren eines Schiele.
Auch der revolutionärste Architekt kann die Statik nicht ignorieren

Solange wir den Rhythmus intensiver Emotionen fühlen, werden wir sie
wiedererkennen in Musik, in Mozart und in Chet Baker, in spätem Schu-
bert und gregorianischem Gesang. Solange sich Menschen lieben und
trennen, solange wir hoffen, verlieren und trauern, werden wir unse-
ren Durst nach Sinn und Struktur im Spiegel anderer Geschichten – in
Romanen, Gedichten, Filmen – zu löschen versuchen. Wir brauchen sie,
um uns auf eine Zukunft einzulassen, auf unsere eigene Geschichte:
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Wochenbericht Nr. 40
Jeder Katastrophe muss eine Katharsis folgen, Ende gut, alles gut.
Kunst erlaubt uns, unser chaotisches Erleben zu einer Reise zu struk-
turieren, sie gibt uns die Worte und die Bilder, die wir bereits in
uns hatten, sie gibt uns Mut zu leben.
Dabei ist aufschlussreich, dass gerade die Kunstformen, die sich aus
ihren inneren (und oft finanziellen) Begrenzungen heraus nicht ins
Konzeptuelle flüchten konnten - Prosa, Film, Architektur -, heute die
lebendigsten, aufregendsten sind. Die Architektur ist hierfür ein gu-
tes Beispiel, weil auch der revolutionärste Architekt die Regeln der
Statik und die Existenz der Schwerkraft nicht ignorieren kann. Die
tragenden Elemente eines Hauses, der Schutz vor Naturgewalten und an-
dere funktionelle Anforderungen sind formell konservative Parameter
der Architektur, aber erlauben uns, Gebäude als Variationen über ein
Thema zu sehen und in einem ästhetischen Kontext zu verorten.
Auch ein Schriftsteller hat den zweifelhaften Luxus der unbegrenzten
Freiheit der Mittel nicht: Kein Verlag würde ein Buch publizieren,
das nur aus zufällig kombinierten Buchstaben oder Namen aus dem Tele-
fonbuch besteht (während in Konzertsälen auf ähnlichen Prinzipien be-
ruhende Werke aufgeführt werden). Ein Prosa-Autor ist gebunden an ein
bekanntes Vokabular, an grammatisch richtige Sätze, an Rechtschrei-
bung. Erst das erlaubt den Dialog, den grosse Schriftsteller noch im-
mer mit Millionen von Lesern unterhalten, denn das Bedürfnis danach
ist unvermindert da.
Dass Kunst unverständlich sein muss, ist eine Illusion der Romantik
Kunst kann den Blick über die Schulter nicht vermeiden, auch wenn und
gerade weil er dem Künstler gefährlich ist. Orpheus verlor seine Eu-
rydike, als er sich umblickte, aber spielte schöner denn je; und tat-
sächlich liegt in diesem Blick der ganze Reichtum der Inspiration.
Dass ein ganzes Kunst-Establishment diesen Blick scheute, zeugt nicht
nur von einem Mangel an Reflexion, sondern auch, und vielleicht
schlimmer, von einem Mangel an Selbstvertrauen. Wer sein Gegenüber
nicht anerkennt, vermeidet auch, an ihm gemessen zu werden. Das ist
ein Denkfehler, denn natürlich findet ein Vergleich statt. Das Publi-
kum wird ihn anstellen.
So rückt das Publikum an einen zentralen Ort in der Entwicklung der
Kunst. Es ist eine romantische Illusion, dass grosse Kunst für ihre
Zeitgenossen unverständlich sein müsse: Über Jahrhunderte haben mäch-
tige, oft nicht besonders kultivierte Mäzene die Entwicklung mitbe-
stimmt und ihre Favoriten begünstigt, und die Kunstgeschichte ist
durch diese Anbindung an einen Publikumsgeschmack kaum ärmer gewesen.
Heute müssen gerade diejenigen, deren kultureller Horizont nicht beim
röhrenden Hirschen, der Alpenlandschaft oder der letzten Boyband auf-
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hört, den Mut zeigen, vor Kunstwerken - alt wie zeitgenössisch - nicht nur verlegen zu murmeln, dass sie zu komplex sind, um einfach verstanden zu werden, sondern dass man sich damit einfach nicht genug beschäftigt hat. Stellung zu beziehen erfordert keine Dissertation in Ästhetik. Unser aller Teilhabe an einer kulturellen Grammatik erlaubt uns, un-bekannte Werke zu erschliessen, auch wenn diese Bekanntschaft analy-tisch vertieft werden kann. Gerade die Aufgeklärten aber müssen Un-sinn, müde Provokation und schmalbrüstige Pennäler-Intellektualität beim Namen nennen. Kunst braucht intelligente Kritik. Fügsamkeit ver-dirbt sie, Gleichgültigkeit tötet sie auf Dauer. Es ist an der Zeit festzustellen, dass das konzeptuelle Experiment uns keine neue, fri-sche Kunst beschert hat, sondern eine Folge teilweise durchaus inte-ressanter Tangenten, die das Herz der Sache einen unendlich kurzen Moment berühren, um sich dann - zur Frustration des Zuhörers - in die ewige Leere zu verlieren. Fast ein Jahrhundert haben wir darauf ver-wandt zu sehen, ob diese Kunst sich uns erschliesst, aber sie tut es nicht oder nicht in dem Masse, wie andere Kunst zu uns spricht und uns bereichert. Wenn aber drei Generationen im selben Restaurant Un-verdauliches vorgesetzt bekommen, liegt es vielleicht doch am Rezept. Jeder, der offen ist für Kunst, sucht eine zeitgenössische Antwort auf die alten Mythen, sucht Opern, grafische Werke oder Kammermusik, die zu lieben Kunst und Publikum nicht in ein Museum verbannt, eine insgesamt abgeschlossene Episode, sondern die heute aus dem Uralten Neues schafft. Das ist die Herausforderung an alle Künstler. "Wir sind Zwerge, die auf den Schultern von Riesen sitzen", hat Peter von Blois im zwölften Jahrhundert über die grossen Philosophen ge-schrieben, und das Zitat geht weiter: "Deswegen können wir weiter se-hen als sie." Was die Weitsichtigen unter uns Zwergen am Horizont ausmachen können, ist vielleicht eine Kunst, die sich ihrer revoluti-onären Tradition aufs Neue stellt. Nachdruck, auch auszugsweise, gestattet nur unter dem Hinweis «Aus dem Wochenbericht der Bank Julius Bär». Äusserungen über Gesellschaften im Börsenteil basieren auf zuvor publizierten Empfehlungen. Zu rechtlichen Hinweisen und sonstigen Offenlegungspflichten verweisen wir auf die jeweilige Ursprungspublikation. Julius Bär Gruppe: Zürich (Hauptsitz), Basel, Dubai, Frankfurt, Genf, Grand Cayman, Guernsey, Lausanne, London, Lugano, Luxemburg, Luzern, Mailand, New York, Wien und Zug

Source: http://www.illnau-window.ch/Baer.Bericht/2005/WOBE_40.pdf

Purim 1 pg

Purim is the most festive holiday of the Jewish calendar. It is an occasion for “serious partying,” a day of authorized abandon. Purim marks the celebration of an ancient victory—when Queen Esther, an Long, long time ago, many Jewish people lived in the city assimilated Jewish of Shushan in the country of Persia. The king of this greatcountry was named King Ahashverosh (A-h

Doi:10.1016/s0140-6736(03)12950-9

Comparison of T-cell-based assay with tuberculin skin test fordiagnosis of Mycobacterium tuberculosis infection in a school tuberculosis outbreak Katie Ewer, Jonathan Deeks, Lydia Alvarez, Gerry Bryant, Sue Waller, Peter Andersen, Philip Monk, Ajit Lalvani IntroductionIdentification and treatment of people who have latentBackground The diagnosis of latent tuberculosis infectiontuberculos

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