Interview taz 200309

Psychisch bedingte Arbeitsausfälle haben seit 2003 um 51 Prozent
zugenommen. Besonders betroffen ist der Norden, Hamburg ist
Spitzenreiter. Ursachenforschung beginnt gerade erst. VON PETRA
SCHELLEN

Hilft, egal wo eingenommen, auch nicht immer: Das populäre Antidepressivum Prozac. Foto: Tom Varco/Wikimedia Commons Der Anteil der Krankheitstage, die auf psychische Erkrankungen zurückzuführen sind, steigt an. Hamburg liegt hier um rund 46 Prozent über dem Bundesdurchschnitt; das ergeben aktuel e Gesundheitsreports der Krankenkassen. Auch in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern hat der Anteil psychisch bedingter Krankschreibungen am gesamten Krankenstand um jeweils einen Prozentpunkt zugenommen. Die Gründe für die Hamburger Extremwerte sind unklar: Einige sagen, es liege am Stadt-Land-Gefäl e, sprich: an der höheren Bereitschaft des Großstädters, sich zu psychischen Problemen zu bekennen. "Die psychischen Störungen müssen nicht zwangsläufig zugenommen haben", sagt Michaela Hombrecher, Sprecherin der Techniker Krankenkasse (TK). "Aber heute hat man Begriffe dafür." Andererseits seien auch Al gemeinärzte sensibler geworden für Angststörungen und Depressionen, die zu den häufigsten psychischen Erkrankungen zählen. Fest steht indes, dass arbeitsbedingte psychische Erkrankungen zwischen 2003 und 2008 dem Gesundheitsreport der Barmer Ersatzkasse (BEK) zufolge bundesweit um 51 Prozent zugenommen haben. Von 153 auf 186 Mil ionen Euro ist paral el das Krankengeld der BEK hierfür gestiegen. "Dazu kommen oft lange stationäre Aufenthalte, bei denen kaum etwas passiert, so dass wir inzwischen ambulante Wiedereingliederungsangebote anbieten", sagt TK-Sprecherin Hombrecher. Doch mit der Kostendämpfung ist es auch für die Firmen nicht mehr getan: Fehltage bedeuten Produktionsausfäl e, und mit der altbackenen Floskel des "Sich-Zusammennehmens" kommt niemand mehr weit. "Immer mehr Firmen wol en die Ursachen klären, zumal sie wissen, dass ihnen in 15 Jahren demografiebedingt Fachkräfte fehlen werden", sagt Hombrecher. "Sie wol en die Produktivität ihrer Mitarbeiter erhalten." ArbeitnehmerInnen in Cal centern, im Sozial- und Security-Bereich und an der Supermarkt-Kasse führen die Liste psychisch bedingter Fehlzeiten an. Doch auf spartenbedingte Stressfaktoren al ein lässt sich das Problem nicht reduzieren. In etlichen Branchen "herrscht keine Kultur der Wertschätzung", sagt Werner Fürstenberg, Leiter des gleichnamigen Hamburger Instituts, das Firmen mit dem Coaching ihrer Mitarbeiter beauftragen können. Eine Marktnische, zumal das betriebliche Gesundheitsmanagement, das die Kassen den Unternehmen anbieten, noch in den Anfängen steckt. Der Bedarf steigt derweil deutlich: Kamen 2000 noch acht Prozent der Klienten wegen Arbeitsplatzproblemen ins Fürstenberg-Institut, sind es inzwischen 30 Prozent. Nur die Hälfte von ihnen sei konkret von Entlassung bedroht, "der Rest leidet unter al gemeinen Existenzängsten sowie unter Schwierigkeiten mit Vorgesetzten oder Mitarbeitern", sagt http://www.taz.de/regional/nord/nord-aktuell/artikel/1/wenn-die-seele-streikt/?type=98 Solche Ängste seien aber völ ig normal und keine Krankheit. "Die Mitarbeiter müssen einfach lernen, mit der größeren Arbeitsdichte und Unsicherheit umzugehen", sagt er. Andererseits seien die Unternehmen verpflichtet, den Mitarbeitern respektvol zu begegnen. "Das tun derzeit rund zehn Prozent der Unternehmen", sagt Fürstenberg. Dabei wil er gar keine Steine werfen. "Manager, die Leute abwickeln, stehen selbst unter Druck und sehen die emotionalen und sozialen Folgen ihrer Entscheidungen nicht." Wenn man ihnen das erkläre, verstünden sie es auch. Schwieriger liege der Fal dort, wo Mitarbeiter permanentem psychischem Druck ausgesetzt seien - Hauptgrund für die langen Fehlzeiten. Wenn schwierige Vorgesetzte die Ursache seien, versuche man ein Bewusstsein für die "Ressource Mitarbeiter" zu wecken. "Wenn uns ein Vorstand aber sagt, dass ein cholerischer Chef ruhig 20 Untergebene pro Jahr verbrennen darf, solange er nur die Rendite bringt, wird es schwierig", sagt Fürstenberg. Was die Einsichtsquote in diesem Punkt betrifft, hegt er kaum Il usionen. "Da herrscht im Management genauso wenig Weitsicht wie in der Politik." http://www.taz.de/nc/regional/nord/nord-aktuel /artikel/1/wenn-die-seele- taz Entwicklungs GmbH & Co. Medien KG, Vervielfältigung nur mit Genehmigung des taz Verlags http://www.taz.de/regional/nord/nord-aktuell/artikel/1/wenn-die-seele-streikt/?type=98

Source: http://www.fuerstenberg-institut.de/wp-content/uploads/2010/08/Interview_TAZ_23.03.2009.pdf

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