Dr. Frank Frick für Psychologie heute, 10/2006
Ist Medizin nur für die Kranken da? Auch Gesunde
bedienen sich zunehmend an Medikamenten wie
Ritalin oder Prozac, die eigentlich der Behandlung
von Aufmerksamkeitsstörungen und Depressionen
vorbehalten sein sollten. Und vielleicht werden
Magnetstimulationsgeräte fürs Gehirn schon bald
als Kick für Partys gehandelt. Doch ist „Hirndoping"
Science-Fiction-Autoren haben schon oft in zumeist düsteren Farben ausgemalt, wie sich die menschliche Gesellschaft unter dem Einfluss von Psychodrogen und Hirnimplantaten verändern könnte. Doch inzwischen beschäftigt das „Doping fürs Gehirn" unter dem Fachbegriff Neuro-Enhancement auch seriöse Wissenschaftler – mehrtägige Konferenzen in Delmenhorst und Witten künden davon. Vor allem zwei Produkte der Pharmaindustrie haben die Debatte vom Morgen ins Heute verlagert: Ritalin, zugelassen als Medikament für Kinder mit schweren Aufmerksamkeitsstörungen (ADHS), und das Antidepressivum Prozac. Beide haben bereits einen Markt jenseits ihres bestimmungsgemäßen Gebrauchs gefunden. So zeigen mehrere Umfragen und Untersuchungen an amerikanischen und kanadischen Universitäten, dass auch Studenten ohne ADHS-Symptorne Ritalin einnehmen, um ihre Studienleistung zu verbessern. Unklar ist allerdings das Ausmaß dieses Hirndopings: Je nach Untersuchung schwankt der Anteil der Studenten, die einräumen, missbräuchlich Ritalin zu konsumieren, zwischen 1,5 und 20 Prozent. Auch zu Prozac, hierzulande unter dem Namen Fluctin bekannt, liegen genaue Daten nicht vor. Doch spätestens seit dem Erscheinen des Buches Listeningto Prozac vor gut einem Jahrzehnt gilt das Medikament in den USA als Lifestyledroge: In dem Bestseller behauptete der Psychiater Peter Kramer, von Prozac könnten auch Menschen ohne klinische Depressionen profitieren. Dank des Mittels sei es möglich, sich „besser als gut" zu fühlen. Die Beispiele Prozac und Ritalin zeigen: Heute schon greifen Menschen zu Medikamenten, um ihre Stimmung und ihre geistige Leistungsfähigkeit über ein normales Maß hinaus zu steigern. „Die Bereitschaft zum Neuro-Enhancement wächst, je leichter die Medikamente anzuwenden sind und je weniger Nebenwirkungen sie haben",sagt Matthis Synofzik vom Institut für Ethik und Geschichte in der Medizin an der Universität Tübingen. „Und es ist wohl nur eine Frage der Zeit, wann noch wirkungsvollere und nebenwirkungsärmere Substanzen erhältlich sein
werden – vor allem angesichts der umfangreichen finanziellen Förderung der psychopharmakologischen Forschung." Tatsächlich haben Neurowissenschaftler in den letzten Jahren viele neue Erkenntnisse gewonnen, dank derer sie in der Lage scheinen, die geistige Leistungsfähigkeit und den emotionalen Zustand des Menschen gezielter als bisher zu beeinflussen. Die Pharmaindustrie hat daran starkes Interesse, denn schließlich sind Medikamente für Gesunde ein lukratives Geschäft, das sich beträchtlich ausbauen ließe. So sind in den USA kleinere Firmen entstanden, die speziell neurologische Wirkstoffe entwickeln. „Studien zur geistigen Funktion gesunder älterer Menschen haben gezeigt, dass ihre kognitive Leistungsfähigkeit bei entsprechenden Tests langsam nachlässt. Dieses Nachlassen ist nicht eindeutig mit einem definierbaren Krankheitsbild verknüpft und ist womöglich ein normaler Teil des Alterungs-prozesses" beschreibt etwa die Firma Memory Pharmaceuticals des Nobelpreisträgers Eric Kandel auf ihrer Internetseite offen den Markt, auf den sie zielt. Doch es sind nicht nur die Anstrengungen der Pharmaindustrie, die der Hirndopingdebatte neue Nahrung geben. Auch bei den neuroelektronischen (NE-)Techniken lässt der wissenschaftliche Fortschritt die Visionen der Science-Fiction näher rücken. Eine dieser Techniken ist die so genannte transkranielle Magnetstimulation (TMS). Dabei wird eine Spule an die Oberfläche des Schädels gehalten. Sie erzeugt ein Magnetfeld, das die dahinterliegenden Regionen des Gehirns stimuliert. Wissenschaftliche Studien weisen darauf hin, dass sich mit diesem schmerzfreien Verfahren erfolgreich Depressionen behandeln lassen – ein endgültiger Beweis steht allerdings noch aus. „Sobald die Wirkungen geklärter und die Geräte frei verfügbarer und kostengünstiger sind, werden TMS-Partys vorstellbar, auf denen man per Magnetkraft für einige Zeit in positive Stimmung versetzt wird", sagt Professor Achim Stephan vom Institut für Kognitionswissenschaft der Universität Osnabrück. Im Gegensatz zur TMS kommen andere neuroelektronische Verfahren wie etwa die tiefe Hirnstimulation allerdings nicht ohne chirurgischen Eingriff aus. „Ihr Einsatz ist dementsprechend riskant. Daher werden sie wohl auch künftig nur bei Personen mit schwerwiegenden Beschwerden zur Anwendung kommen", urteilt Thorsten Galert von der Europäischen Akademie zur Beurteilung von Folgen wissenschaftlich-technischer Entwicklungen in Bad Neuenahr-Ahrweiler. Die sich abzeichnenden Möglichkeiten ebenso wie das bereits praktizierte Neuro-Enhancement werfen die grundlegende Frage auf, unter welchen Umständen die Einnahme von Psychopharmaka oder die Anwendung von hirnelektrischen Techniken gerechtfertigt ist. Naheliegend wäre die Antwort, dass der Einsatz dieser Mittel legitim ist, wenn er der Therapie dient, und nicht legitim, wenn es um Leistungsverbesserung geht. Danach wäre es gerechtfertigt, wenn ein schwer depressiver - also kranker - Patient Substanzen zur Stimmungsaufhellung nimmt. Wenn jedoch ein pubertierender Junge im Verdruss über seine Schulaufgaben zu einer solchen Substanz oder vor einer Schulprüfung zu einem Gedächtnisverbesserer greift, wäre dies abzulehnen. So weit, so plausibel. Doch manchmal ist die Entscheidung nicht so klar. Man stelle sich etwa einen Pensionär vor, der sein Leben lang in einem intellektuell herausfordernden Beruf gearbeitet hat. Doch obwohl er in seinem Ruheständleralltag noch immer durch einen gebildeten Freundeskreis und anspruchsvolle Freizeitaktivitäten geistig gefordert wird, mehren sich Zeichen zunehmender Vergesslichkeit. Gleichwohl kann der konsultierte
Neurologe keinerlei Anzeichen einer beginnenden Demenzerkrankung finden. Wäre es in diesem Fall ein abzulehnendes Doping oder aber eine anzustrebende Therapiemaßnahme, wenn man dem Mann Tabletten für eine bessere Gedächtnisleistung gibt? Die meisten Experten sind überzeugt: Die Unterscheidung zwischen „Therapie" hier und „Enhancement" dort hilft bei der ethischen Beurteilung nicht immer weiter. Synofzik sagt sogar: „Sie könnte eine offene Diskussion über die eigentlichen ethischen Probleme verhindern." Letztlich beruht die Unterscheidung zwischen Therapie – der Behandlung von Kranken – und Doping – der Leistungssteigerung von Gesunden – auf dem scheinbaren Gegensatz von „gesund" und „krank". Doch der Begriff „krank" ist keineswegs eindeutig: „Ob beispielsweise ein Kind unter schweren Aufmerksamkeitsstörungen leidet, kann lediglich subjektiv durch Befragungen festgestellt werden, und die Diagnosestellung erfolgt nach mehrfach veränderten und umstrittenen Kriterien", sagt ADHS-Experte Udo Baer, Therapeut in Neunkirchen-Vluyn. Über die Einführung des Krankheitsbildes „Konzentrationsschwäche und Hyperaktivität" in den USA entschieden 1987 die Mitglieder der American Psychiatrie Association — durch Abstimmung! Manchmal wird „Hirndoping" auch mit dem Hinweis abgelehnt, die angestrebten Verbesserungen stünden dem Menschen schon von Natur aus nicht zu. Dieses Argument überzeugt allerdings nicht. Denn es übersieht, dass wir die Grenzen unserer natürlichen Beschaffenheit ständig und alltäglich überschreiten, ohne uns daran zu stören: Wir verwenden Brillen, um unsere visuellen Fähigkeiten zu verbessern, nutzen Autos, um beweglicher zu sein, nehmen Immunsupressiva, um körpereigene – und damit natürliche – Abwehrprozesse zu unterdrücken. Wie aber lässt sich dann beurteilen, wann die Anwendung von psychisch „optimierenden" Medikamenten oder Techniken akzeptabel ist? Viele Fachleute sind überzeugt, dass bei dieser Bewertung vier medizinethische Leitlinien von Tom Beauchamp und James Childress hilfreich sind: das Prinzip des Wohltuns, das Prinzip des Nichtschadens, das Prinzip des Respekts der Selbstbestimmung und das Prinzip der Gerechtigkeit. „Demnach wäre der Einsatz von Psychopharmaka oder NE-Techniken dann gerechtfertigt, wenn sie wirksam sind, wenn sie der anwendenden Person einen Nutzen bieten, welcher den Schaden überwiegt, und wenn ihre Anwendung von der Person aus wohlüberlegten Gründen heraus gewollt wird", erläutert Synofzik. „Hinzu kommt dann noch die Forderung, dass auf gesellschaftlicher Ebene Wege gefunden werden müssen, um die Zuweisung solidarisch zu finanzierender Psychopharmaka gerecht zu regeln." Wie aber lässt sich dann beurteilen, wann die Anwendung von psychisch „optimierenden" Medikamenten oder Techniken akzeptabel ist? Viele Fachleute sind überzeugt, dass bei dieser Bewertung vier medizinethische Leitlinien von Tom Beauchamp und James Childress hilfreich sind: das Prinzip des Wohltuns, das Prinzip des Nichtschadens, das Prinzip des Respekts der Selbstbestimmung und das Prinzip der Gerechtigkeit. „Demnach wäre der Einsatz von Psychopharmaka oder NE-Techniken dann gerechtfertigt, wenn sie wirksam sind, wenn sie der anwendenden Person einen Nutzen bieten, welcher den Schaden überwiegt, und wenn ihre Anwendung von der Person aus wohlüberlegten Gründen heraus gewollt wird", erläutert Synofzik. „Hinzu kommt dann noch die Forderung, dass auf gesellschaftlicher Ebene Wege gefunden werden müssen, um die Zuweisung solidarisch zu finanzierender Psychopharmaka gerecht zu regeln."
Mehr als ein Ausgangspunkt für die Bewertung sind diese Kriterien allerdings nicht. Am eindeutigsten scheinen noch die Fragen nach der Wirksamkeit und nach dem Schadensrisiko zu beantworten zu sein. Allerdings: Gar nicht so selten führen Studien über das gleiche Arzneimittel zu unterschiedlichen Ergebnissen. Und selbst bei Prozac und Ritalin stehen den zahlreichen Untersuchungen zur Wirkung auf Kranke nur wenige Studien zur Wirkung auf Gesunde gegenüber. Mangelware sind meist auch aussagekräftige Langzeituntersuchungen zu möglichen Nebenwirkungen. Noch mehr Spielraum für unterschiedliche Bewertungen bietet das Kriterium der Nützlichkeit. Synofzik konstruiert dazu folgendes Beispiel: Ein abenteuerlustiger, quirliger Junge wächst in einem wohlhabenden Vorort auf, in dem viele der Familien sehr auf Bildung und ein anständiges Verhalten ihrer Kinder achten. Die Kinder stehen unter wohlwollend-strenger Beobachtung. Die Eltern des agilen Jungen fühlen sich unter Zugzwang und fragen ihn immer wieder, warum er sich denn nicht so benehmen könne wie sein älterer Bruder, der stets durch Aufmerksamkeit und Fleiß beeindruckt. Auch die Lehrer beschweren sich über sein Verhalten, weil sie sich an ruhige und konzentrierte Schüler gewöhnt haben. Immer mehr merkt der Junge, dass er den Anforderungen nicht genügen kann, obwohl er sich das inzwischen sehr wünscht. Er sieht in Ritalin eine Chance, im Alltag besser klarzukommen. Für den Jungen bietet die Einnahme des Medikaments einen Nutzen, wäre also gerechtfertigt. An dieser Einschätzung sind jedoch starke Zweifel angebracht, denn schließlich hängt der Nutzen für den Jungen stark von den Normen des Umfeldes ab, in dem er aufwächst. Außerdem seien Rückkopplungseffekte möglich, erläutert Udo Baer: „Mit zunehmender gesellschaftlicher Akzeptanz der Ritalin-Einnahme wird abweichendes Verhalten bei Kindern immer weniger toleriert." Hirndoping würde somit – analog zum Doping im Hochleistungssport, etwa bei der Tour de France – kontinuierlich den Standard verschieben. „So könnte aus dem Recht, glücklich zu sein, eine Pflicht werden", sagt Saskia Nagel, die am Osnabrücker Institut für Kognitionswissenschaft das Thema Neuro-Enhancement gemeinsam mit Achim Stephan bearbeitet. Häufig wird auch die Befürchtung geäußert, durch eine Lifestylemedizin würden Probleme „medikalisiert", die in Wirklichkeit psychologische oder soziale Ursachen hätten. „Beispielsweise lässt sich die Zunahme diagnostizierter Depressionen auch als Symptom einer Gesellschaft deuten, in der es immer weniger Platz für sensible Menschen und problematische Lebensphasen gibt und in der soziale Probleme zu individuellen Problemen werden, die nicht mehr gesellschaftlich bearbeitet, sondern durch Pillen unterdrückt werden", sagt die Berliner Politikwissenschaftlerin Petra Schaper-Kinkel. Andererseits: Nach dem Prinzip des Respekts vor der Selbstbestimmung sollte es jedem mündigen Menschen selbst überlassen bleiben, ob er von Enhancement-Maßnahmen Gebrauch machen möchte. Demgemäß meinen etwa Saskia Nagel und Achim Stephan, dass es zu akzeptieren ist, wenn ein informierter und zu kompetenten Entscheidungen fähiger Mensch zum Hirndoping greift, auch wenn bestimmte Begleiterscheinungen und Langzeitfolgen zu erwarten sind. „Sein Entschluss wäre vergleichbar mit demjenigen, trotz allgegenwärtiger Hinweise über die Gesundheitsgefährdung des Rauchens weiter zu rauchen", sagt Nagel. Doch anderen Auffassungen zufolge wiegt hier bereits die
Verpflichtung, dem Patienten keinen Schaden zuzufügen, schwerer als das Prinzip der Selbstbestimmung. Die Selbstbestimmung steht auch im Brennpunkt einer anderen Diskussion: Dabei geht es um die These, dass Tabletteneinnahme einem Menschen die Kompetenzen rauben kann, die seinen Willensentscheidungen zugrunde liegen. So hat etwa das Bioethik-Beratergremium des US-Präsidenten 2003 in seiner Studie „Jenseits der Therapie – Biotechnologie und das Streben nach Glück" auf die Möglichkeit der Selbstentfremdung durch Psychopharmaka hingewiesen, also auf den Verlust der „wahren" Identität. „Der Generalverdacht, dass Techniken des Neuro-Enhancement die personale Identität gefährden, ist allerdings nicht gerechtfertigt", ist Thorsten Galert überzeugt, der an der Europäischen Akademie GmbH das Projekt „Eingriffe in die Psyche" leitet. Persönlichkeitsveränderungen hält er gleichwohl für möglich: „Hier wird man sich auf die mühevolle Abwägung der im Einzelfall zu erwartenden Chancen und Risiken einlassen müssen." Hirndoping wird aber auch deshalb unterschiedlich beurteilt, weil es das Gerechtigkeitsempfinden auf die Probe stellt. Wahrscheinlich wird aus finanziellen Gründen nur ein Teil der Gesellschaft die Möglichkeiten der Selbstverbesserung nutzen können. „Ähnliche Ungleichheiten bestehen zwar auch woanders: Nur Wohlhabende können sich Sprachkurse im Ausland oder den Besuch im Wellnesshotel leisten", sagt Bettina Schöne-Seifert, Professorin für Medizinethik an der Universität Münster. „Doch scheint der privilegierte Griff zu Psychopharmaka oder NE-Techniken besonders ungerecht, wenn er dazu dient, gewissermaßen anstrengungslos in Prüfungen besser abzuschneiden oder sich am Arbeitsplatz Vorteile zu verschaffen." Unisono warnen Medizinethiker davor, Pauschalurteile zum Hirndoping zu fällen. Wenn etwa in Diskussionen das Bild vom Egomanen gezeichnet wird, der mittels Hirndoping rasch Karriere machen will, ist die Versuchung groß, Neuro-Enhancement-Techniken generell zu verdammen. „Wie aber fällt das Urteil aus", fragt Schöne-Seifert, „wenn jemand etwa mithilfe von Pharmaka besonders schnell eine Fremdsprache erlernen will, um in einem Entwicklungsland besser helfen zu können?“
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Pergunta: Acabo de ser diagnosticado com pré-leucemia, já quase leucemia mesmo. O senhor poderia me indicar uma terapia alternativa? Resposta: Falando de um modo genérico, a leucemia é uma doença do sistema imunológico. Ou talvez melhor dito, um câncer do sistema imunológico. Então achei que esta seria uma boa oportunidade para apresentar uma terapia pela qual me interessei recentemente.