Aus:david le breton, schmerz – eine kulturgeschichte
Gedanken zur Schmerzpsychotherapie
Eröffnungsvortrag anlässlich der Jahrestagung der DGPSF in Nottwil/Schweiz vom
Theorie und Praxis der Schmerzpsychotherapie: Internationaler Alpendialog
Das Thema meines Vortrages ist vage. Es wird kein Überblick zu Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft der Psychologie des Schmerzes gegeben, sondern ich
möchte drei mir wichtige Argumente vortragen. Sie werden also von mir nicht erfah-
ren, wie es um die Psychologie des Schmerzes in unseren Landen bestellt ist. Aller-
dings fällt es mir leicht auf diesen Überblick zu verzichten, denn die gegenwärtigen
Themen sind Gegenstand dieser Tagungen und Prognosen sind bekanntlich schwie-
rig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen.
Mein erstes Argument lautet Einheit in Vielfalt. Allein dass wir uns hier in der
Schweiz treffen verdient in diesem Zusammenhang der besonderen Beachtung,
denn aus der Deutschen Gesellschaft für Psychologischer Schmerztherapie und –
forschung wurde damit ein deutschsprachiges Anliegen und über die nationalen
Ländergrenzen gehoben. Das hat nicht allen diesseits und jenseits der Ländergren-
zen gefallen. Manche halten die jeweils geltenden Rechtsnormen, Verwaltungsvor-
gänge, Curricula, Qualitätssicherungsmaßnahmen ihres Landes für maßgebend oder
sie erinnern sich der Mühe, mit der diese Formen durchgesetzt wurden und meine
vielleicht: Bleibe im Lande und nähre Dich redlich.
Ein europäisches Curriculum für Schmerzpsychotherapie war eines der Anliegen,
das sich hartnäckig meinen Bemühungen widersetzt hat. Dafür waren ganz unter-
schiedliche Probleme ursächlich: Meine Gespräche in Rumänien brachten zutage,
dass es gar keine entwickelte Psychotherapie gibt, weil Ceaucescu dergleichen Wis-
senschaft für subversiv hielt und weitgehend unterdrückte. In Serbien besteht diese
Problem nicht, allerdings hat man völlig andere Sorgen, denn die Politik ist erheblich
nationalistisch, um es vorsichtig zu sagen und wichtige Kräfte bewegen sich eher von
de EU weg als zu ihr hin. In Ungarn finden wir eine hoch entwickelte Schmerzpsy-
chotherapie, aber die entsprechenden klinisch-psychologischen Institute verlieren an
Boden. In Österreich entspricht die Berufsbezeichnung Psychotherapeut überhaupt
nicht den deutschen Gewohnheiten, das gilt eher für die Klinische Psychologie, und
beide Gruppen können einander gar nicht leiden, geschweige denn miteinander re-
den. In einem deutschsprachigen Land mit Neigung zum Dialekt wollte ein schmerz-
therapeutisches Team mich nicht als Supervisor akzeptieren. Weil man dann nicht
„reden könne, wie einem der Schnabel gewachsen sei“, war eines der Argumente.
Zunächst war ich gekrängt, aber dann begann ich zu verstehen: Der Hinweis auf den
Dialekt bezog sich auf sprachliche Eigenheiten, von denen man befürchtet, sie könn-
ten unbeachtet bleiben oder gar ausgebügelt und mit ihnen Unterschiede im Verste-
hen des Schmerzpatienten und der Reflexion im therapeutischen Team. Nicht ganz
zu Unrecht haben sie in mir, dem Deutschen einen Vertreter derjenigen Tradition ver-
mutet, der in Anlehnung an angelsächsischen Mainstream der Wissenschafts und
Therapie das Individuelle klein und das Allgemeine, vielleicht gar manualgesteuerte,
groß schreiben würde. Vermutlich lesen sich meine Aufsätze so.
Hiermit wird das allgemeine Problem der Sprache benannt. Schmerztherapeuten
wissen vom individuellen Schmerz des Patienten nur so viel er mitteilen kann - und
will. Aber selbst wenn gesprochen wird, sprechen wir denn die gleiche Sprache? Ein
Beispiel: Die Verhaltensanalyse des Schmerzes setzt wesentlich voraus, dass zu ei-
nem Schmerzereignis ein Vorher und ein Nachher bestimmbar ist. Für arabische
denkende und sprechende oder durch den arabischen Islam beeinflusste Menschen
können aber mehrere Tage zu einem Tag werden, denn für das Unglück – wir wür-
den von kritischen Lebensereignissen sprechen – verwendet man im Arabischen den
Singular und sagt „der Tag des Unglücks“ und meint die Tage, die auch Monate oder
gar Jahre dauern können. Das von Ibn Mansur kompilierte Wörterbuch „Lisan al-
Arab“ verweist auf diese Besonderheit mit dem zeitbezogenen Singular ganze un-
glückliche Epochen und Lebensabschnitte zu benennen. Dieses Detail sprachlicher
Eigenheit, die einem beim Umgang mit traumatisierten Schmerzpatienten aus dem
Irak begegnen können, verweisen auf eine Bildhaftigkeit des Denkens und der Be-
schreibung von individueller Erfahrung, die nicht einfach in das Schema eines
SORCK-Modells zu übertragen ist. Schwerer noch wiegen tabuisierte Erfahrungen,
die gar nicht oder nur sehr schwer in Sprache fassbar sind. Unaussprechliches! Einer
psychometrischen Objektivierung bleiben diese Erfahrungen verschlossen. Misslun-
gene Interaktionen sind die Folge und wird das Bündnis zwischen Patient und
Schmerztherapeut beeinträchtigen, denn das Verstehen des individuellen Schmer-
zes, nicht nur als ein Akzeptieren, sondern im Sinne der komplexen Wechselwirkun-
gen zwischen biografischer Erfahrung und Gegenwart des Schmerzes ist eine wich-
tige Voraussetzung für die Behandlung. Wenn Wittgensteins Anmerkung stimmt,
nach der die Grenzen der Sprache auch die Grenzen der Welt eines Menschen mar-
kieren, dann ist jeder Schmerzpatient und solche mit einem fremden Sprachinter-
grund eine erhebliche Herausforderung für unsere Profession.
Meistens machen wir mit Patienten die Erfahrung, dass sie den Kern ihres subjekti-
ven Schmerzerlebens im Körperlichen sehen. Auch die Psychologie hat dieses me-
dizinische Modell bevorzugt und seelische Schmerzen aus dem Gegenstandsbereich
der psychologischen Interventionen ausgegrenzt. Die neurobiologischen Erkenntnis-
se aus den vergangenen Jahren zwingen uns zu einem radikalen Umdenken, denn
der subjektiv erlebte Schmerz einer Trennung aktiviert offenbar teilweise dieselben
Einsamkeit und Verlassenwerden ist eine ähnlich schlimme Erfahrung wie die Stimu-
lierung von Nozizeptoren und macht Menschen für Schmerzen vulnerabel. In Scien-
ce wurde 2003 von Naomi Eisenberger und Mitarbeitern ein Experiment berichtet,
das der Frage nachging, ob die negativen Gefühle von Zurückweisung und Verlust,
ähnlich verarbeitet werden wie akute, noxisch ausgelöste Schmerzen. Sie nahmen
an, dass eine Störung der sozialen Bindungen evolutionär eine ähnliche Bedeutung
haben könnte wie eine körperliche Verletzung. Im Hinblick auf die Lokalisierung wur-
de einen beidseitige Aktivierung des anterioren cingulären Cortex (ACC) in beiden
Situation vermutet, weil diese Hirnregion als Alarmsystem und Konfliktmonitor Erre-
gung zeigt, wenn Trennung verarbeitet werden muss. Schmerz aktiviert den ACC
und insbesondere der dorsale Teil korreliert mehr mit affektiver Schmerzverarbeitung
als mit sensorischer. Tierversuche zeigen, dass eine Abtragung des ACC zu einem
Verlust maternalen Verhaltens und der Äußerung von Signalen der Trennung (sepe-
ration cry) führt. In der oben erwähnten fMRI Studie wurde soziale Ausgrenzung
durch eine Computerspielanordnung (Cyberball) simuliert, in der die Probanden sich
ausgeschlossen fühlen mussten, weil die virtuellen anderen beiden Spieler, sie nicht
mehr mitspielen ließen. Die neuronalen Erregungsmuster entsprachen im Wesentli-
chen dem von noxischer Schmerzstimulation.
Ich habe nicht den Eindruck, dass unserer verhaltenstheoretischen Konzepte der
Schmerzpsychotherapie diesen Aspekt ausreichend berücksichtigen. Denn die neu-
robiologische Forschung lenkt unseren Blick zurück auf die biografischen Dimension
des Schmerzes, wie ihn insbesondere Hartmut Berwald (1998) immer betont hat.
Das heißt, die psychische Besetzung des Körpers durch Verluste, Kränkungserfah-
rungen und psychische Traumata mit Schmerzen kann nur individuell im biografi-
schen Bezug berücksichtigt und therapiert werden. Im vergangenen Jahr haben Mi-
chael Zenz und einige Mitautoren die Ethikcharta der Schmerztherapie einigen Ab-
geordneten des Bundestages vorgestellt. Nach der Diskussion, dem abschließenden
Essen und fast schon in der Garderobe, sprach mich einer der Abgeordneten direkt
an und sagte, dass er von mir als Psychologen doch sehr enttäuscht sei, weil er sich
erhofft habe, dass durch mich, nicht nur der Patient, sondern auch der leidende
Mensch aus Leib und Seele einen Platz in den ethischen Ansprüchen der Schmerz-
therapie habe. Das würde er in unserem Text gar nicht mehr spüren. Es stellt sich
die Frage: Haben wir die Seele verloren?
Der Schmerz ist ja niemals nur ein sensorisches Ereignis, sondern ein subjektives
Erleben, bei dem sich zahlreiche Elemente und Prozesse zwischen Schmerzquelle
und Schmerzempfindung erstrecken, die den Schmerz filtern und seine Intensität
verkleinern oder vergrößern, seine Wirkung verlangsamen, dämpfen oder beschleu-
nigen. Es ist notwendig zu verstehen, ob ein Patient, wenn auch nur insgeheim, die
Vorstellung hat, sein Leiden sei Strafe für das frevelhafte Verhalten oder ob die Wut
auf die Ungerechtigkeit des Schmerzleidens die Schmerzmechanismen noch beflü-
gelt. Umgekehrt wird der Schmerz unter bestimmten Bedingungen auch gesucht und
allein das widerlegt dessen scheinbar einfache Natur. In vielerlei kulturellen Bräu-
chen werden der Schmerz und sein Ertragen herbeigeführt. Die Überwindung von
Schmerzen ist dann mit erheblicher Bedeutung verbunden, mit innerer Kraft, mit
Reichtum und manchenorts mit Fruchtbarkeit. Allerdings ist das in unserer westli-
chen Kultur auch verbreitet, beispielsweise im Sport. Kristalliert können wir das beim
Boxen beobachten, denn dort sind die Zufügung und das Aushalten von Schmerzen
(Nehmerqualität) in besonders reiner Form entwickelt.
Die Schmerzbekämpfung kann als Siegeszug der modernen Medizin gesehen wer-
den, mit dem viel Leiden gemindert werden konnte. Dennoch scheint sich der chroni-
sche Schmerz gleichzeitig weltweit zu einem schwer wiegen Probleme der modernen
Medizin zu entwickeln. Es kann also nicht die Rede davon sein, dass dieser erfolg-
reiche Zweig der Medizin den Schmerz ‚besiegt’ hätte. Die „Soziologie des Leidens“,
von der Thomas Mann schrieb, gehört also nach wie vor auf die Agenda der Ge-
genwart. Was wir auch tun, der chronische Schmerz verschwindet nicht. Bei den
häufigsten chronischen Schmerzen sind aber psychologische Interventionen auch
nur gleich wirksam wie somatische Behandlungen. Es spricht vieles dafür, dass aus der „psychologischen Schmerztherapie“ eine Spezielle Schmerzpsycho- therapie erst noch werden muss.
Das bringt mich zu meinem letzten Punkt: In Deutschland dürfen approbierte Psy-
chotherapeuten seit dem 01.01.1999 selbstständig behandeln. Wenn nun meine Ar-
gumentation zutrifft, nach der am chronischen Schmerz neurophysiologische Pro-
zesse ebenso beteiligt sind wie mentale und wenn zutrifft, dass eine erfolgreiche
Schmerztherapie alle Register ziehen muss, dann folgt daraus die Notwendigkeit der
Kombination von Behandlungsverfahren. Tatsächlich belegen ja einige Untersuchun-
gen, dass eine Kombination von Medikation und Psychotherapie die Behandlungsef-
Es gilt als gesichert, dass die psychotherapeutische und medikamentöse Behand-
lung von Depressivität in etwa Erfolge jeweils um die 60% erzielt. Die Kombination
beider Behandlungen führt zu einer Erfolgsquote von 75% stellt Hollon (2005) in ei-
nem Review fest. Nimmt man nur die Gruppe stark und chronisch kranken Depressi-
ven ist der Effekt dramatisch besser bei Kombinationsbehandlungen. Für Zwangsstö-
rungen zeigen sich ähnliche Effektivitätssteigerungen, wenn Exposition und Ritual-
vermeidung mit Antidepressiva unterstützt werden.
Daraus folgt die Diskussion um ein Verschreibungs und Behandlungsrecht für Psy-
chotherapeuten. Diese Diskussion wurde in den USA seit 1985 in Gesetzgebungs-
verfahren und in mehreren Serien von Aufsätzen im American Psychologist geführt:
Als erster Staat führte New Mexico 2002 das psychologische Verschreibungsrecht
ein, es folgten Louisiana in 2004, 2007 Hawaii. Das Gesetzgebungsverfahren läuft in
California, Georgia, Illinois, Mississippi, Missouri, Montana, Oregon and Tennessee.
Die Hürden für die Verschreibung von Psychopharmaka sind allerdings hoch: 450
Stunden Unterricht, ein 400 Stunden supervidiertes Praktikum mit 100 Patienten und
ein Examen. Im Dezember 2007 hatten aber bereits 10 Psychologen die Qualifikation
erreicht. In Louisiana müssen die Psychotherapeuten einen Master in Klinischer Psy-
chopharmakologie machen und ein Examen bestehen, um dann als „Medizinpsycho-
logen“ pharmakologisch behandeln zu dürfen. Im Dezember 2007 hatten 42 diese Li-
Mit der Diskussion um die Frage des Verschreibungsrechtes möchte ich darauf auf-
merksam machen, dass mit der Gesetzgebung zur Psychotherapie keineswegs die
Psychotherapie zu einer abschließenden Entwicklung gekommen ist. Mit dem Recht
auf pharmakologische Behandlungen kann auch die „Flurbereinigung nach dem
Prinzip: hier die Psyche dort der Körper“ gebremst werden. Gerade die Spezielle
Schmerzpsychotherapie ist hier gefordert, denn Schmerztherapeuten haben ständig
mit psychisch wirksamen Medikamenten in beträchtlichem Maße zu tun, weil sie die
medikamentöse Behandlung in ihre psychologischen Behandlungen integrieren müs-
sen und umfangreiche Kenntnisse über Medikamente brauchen.
Ich will dies hier nicht als eine berufspolitische Forderung erheben, sondern auf die
Notwendigkeit einer bio-psycho-sozialen Behandlung durch Spezielle Schmerzpsy-
chotherapeuten hinweisen, weil die moderne Schmerzforschung keine Trennung
zwischen der Psyche des Schmerzes und den neurophysiologischen Mechanismen
Erwähnte Literatur
Berwald, H. (1998) Schmerzanamnese und biografische Anamnese bei Patienten mit
Schmerz als Somatisierung. In Basler et al. (Hrsg) Psychologische Schmerztherapie,
Hollon, S.D., et al. (2005). Psychotherapy and medication in the treatment of adult
and geriatric depression: Which monotherapy or combined treatment? Journal of Clinical Psychiatry, 66 (4), 455–468.
Hofmann, S.G., et al. (2006). Augmentation of exposure therapy with D-cycloserine
for social anxiety disorder. Archives of General Psychiatry, 63 (3), 298–304.
Dysfonction érectile… et si on en parlait La sexualité est un élément de la vie du couple et même des relations humaines. Une sexualité satisfaisante joue un rôle tout aussi important pour le bien-être et l’équilibre que d’autres satisfactions familiales, sociales ou professionnelles. Devenu un des motifs de préoccupation et de consultation de plus en plus prépondérant tant e
La crisis de la democracia y la lección de los clásicos 1. Mi razonamiento se basa en una frase que se lee al final de la carta programática con la que se ha convocado la convención sobre “La política entre sujetos e instituciones”: “En el espacio de la política parecen anudarse, en sustancia, todas las cuestiones planteadas (en términos incluso internacionales). Por ello resulta ine