Tierversuche – immer mehr wissenschaftliche studien bezweifeln deren nutzen

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O R G A N I S AT I O N E N D E R Ä R Z T E S C H A F T
Tierversuche – immer mehr wissenschaftliche
Studien bezweifeln deren Nutzen

Einleitung
Les études scientifiques contes-
In den letzten Jahren sind in renommiertenFachzeitschriften zahlreiche wissenschaftliche tant l’utilité de l’expérimentation
Studien erschienen, die das bisher von der animale sont de plus en plus
Ärzteschaft weitgehend akzeptierte Konzept desunverzichtbaren Tierversuchs massiv in Frage nombreuses
An dieser Stelle möchten wir deshalb einige Ces dernières années, des revues spécialisées re-
der erstaunlichen Aussagen dieser Artikel wieder- nommées ont publié de nombreuses études scien-
geben. Wir verzichten bewusst auf eine eigene tifiques mettant en question le concept de l’inévi-
Wertung. In wenigen Sätzen fassen wir die Arbei- table expérimentation animale, largement accepté
ten in chronologischer Reihenfolge zusammenund lassen die Originaltexte für sich sprechen.
jusqu’à présent par le corps médical. C’est pour-
quoi, nous aimerions reproduire dans les lignes qui
British Medical Journal 2007
suivent quelques constatations étonnantes faites
Perel P, Roberts I, Sena E, Wheble P, Briscoe C, par ces études. Nous renonçons sciemment à
Sandercock P, et al. Comparison of treatment effectsbetween animal experiments and clinical trials: émettre un jugement de valeur. Nous résumons en
systematic review. BMJ. 2007;334(7586):197. Epub quelques phrases les travaux de manière chronolo-
gique et laissons les textes originaux parler d’eux-
Diese Literaturübersicht aus dem Jahr 2007 (Pu- blikation im Internet bereits am 15. Dezember2006, Vorabdrucke noch unter dem Titel «Testing Les études présentées parviennent aux conclusions
treatments on animals: relevance to humans») suivantes:
untersuchte die Übereinstimmung der Ergeb- 1. L’expérimentation animale ne correspond sou-
nisse klinischer Studien und der entsprechenden vent pas aux exigences de travaux menés pro-
Hierzu identifizierten die Autoren sechs Inter- prement sur le plan scientifique.
ventionen mit gesichertem klinischem Effekt 2. L’expérimentation animale contredit (trop) sou-
und verglichen diesen mit dem Effekt in Tier- vent les résultats d’études cliniques.
versuchen. Ausdrücklich betont wird, dass die 3. L’expérimentation animale est souvent effec-
Auswahl dieser Interventionen erfolgte, bevordas Resultat der Tierversuche den Untersuchern tuée simultanément avec des études cliniques
ou même selon de telles études, ce qui sape la
Die sechs untersuchten Gebiete waren Schä- croyance en la nécessité d’une telle expérimen-
del-Hirn-Trauma, Antifibrinolytica bei Hämor- tation avant toute application sur l’être humain.
rhagie, Thrombolyse bei akutem ischämischemHirnschlag, Tirilazad bei akutem ischämischem 4. Les travaux scientifiques prouvent qu’au-
Hirnschlag, pränatale Steroidgabe zur Verhütung jourd’hui encore, de nombreuses expérimenta-
des neonatalen Respiratory Distress Syndrome tions animales sont effectuées inutilement.
und Bisphosphonate zur Therapie der Osteo- 5. Pour améliorer la qualité de l’expérimentation
Die Studie fand bei drei Interventionen ähn- animale, notamment pour empêcher la «pu-
liche Ergebnisse, bei den drei übrigen hingegen blication bias», l’introduction de registres
Facharzt für Innere Medizin FMHDürntnerstrasse 20 d’études doit être exigée aussi pour l’expéri-
mentation animale.
vorstand@aerztefuertierschutz.ch
– die methodische Qualität der Tierversuchs- www.aerztefuertierschutz.ch
Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2007;88: 31/32 Ä r z t i n n e n u n d Ä r z t e f ü r T i e r s c h u t z i n d e r M e d i z i n
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– starke Hinweise für «publication bias» vor- durchgeführt wurden! («The few existing reviews lagen («The animal studies were of poor qual- have highlighted deficiencies such as animal and ity, however, with evidence of publication clinical trials being conducted simultaneously.») Dies führte zu einem folgenschweren Schluss: – dieser «publication bias» durch Studien- «This suggests that the animal data were regarded as register analog denjenigen in der klinischen irrelevant, calling into question why the studies were done in the first place and seriously underminingthe principle that animal experiments are necessary «Prospective registration of animal experi- – die Ergebnisse der Tierversuche insgesamt zu Die Methodik der Studien beurteilten sie wie oft den klinischen Ergebnissen widersprachen; folgt: «Furthermore, many of the existing animal – die fehlende Übereinstimmung der Tierver- suche mit den klinischen Versuchen die Be- Und weiter: «Many animal studies were of deutung der Tierversuche in Frage stellt; – diese fehlende Übereinstimmung bedingt sein Sie forderten deshalb: «Systematic reviews könnte durch «bias» oder durch ungenügende should become routine to ensure the best use of Wiedergabe der klinischen Situation durch existing animal data as well as improve the esti- den Tierversuch: «Lack of concordance be- mates of effect from animal experiments.» tween animal experiments and clinical trials Das Fazit dieser Arbeit zu Tierversuchen ganz may be due to bias, random error, or the fail- allgemein fiel noch viel grundsätzlicher aus: ure of animal models to adequately represent «Ideally, new animal studies should not be con- ducted until the best use has been made of existinganimal studies and until their validity and general-isability to clinical medicine has been assessed.» Weiter bemängelte die Arbeit die Zusammen-arbeit zwischen klinischen und tierexperimen- In dieser Arbeit wird auf verschiedene frühere tellen Forschern: «Several of our cases alluded to Arbeiten eingegangen, die sich mit dem Nutzen a lack of communication between those con- von Tierversuchen beschäftigen. Unter anderen ducting animal experiments and those conduct- wird auch auf die weiter unten beschriebenen Arbeiten aus Stroke 2001 und Stroke 1990 ein-gegangen.
Diese Arbeit wurde auch im Periskop der Zeit-schrift ALTEX 2006
Lindl T. Study of the clinical relevance of 51 appli-
Schweizerisches Medizin-Forum 2007
cations on animal experiments in biomedical re- aufgenommen und besprochen mit dem Fazit: «Die Diskrepanzen zeigen, dass der Tierversuchnichts oder nur wenig mit der menschlichen ALTEX 2001
Krankheit zu tun hat! Und oftmals sind Tierver- Lindl T, Weichenmeier I, Labahn D, Gruber FP, suche von zweifelhafter Qualität. Probleme und Völkel M. Evaluation von genehmigten tierexperi- mentellen Versuchsvorhaben in Bezug auf das For-schungsziel, den wissenschaftlichen Nutzen und die British Medical Journal 2004
medizinische Relevanz. ALTEX. 2001;18(3):171-8.
Pound P, Ebrahim S, Sandercock P, Bracken MB, Diese interessante Studie aus dem Jahr 2001 mit Roberts I. Reviewing Animal Trials Systematically einem Follow-up 2006 ging der Frage nach, ob (RATS) Group. Where is the evidence that animal re- der bei der Beantragung eines Tierversuchs ange- search benefits humans? BMJ. 2004;328:514-7. Auch diese Arbeit aus England ging der Frage Dies ist einer der Hauptkritikpunkte aller nach, ob es Evidenz gibt für den Nutzen von Tier- Tierversuchsskeptiker. Im Rahmen des Geneh- versuchen in der Medizin. Die Forscher suchten migungsverfahrens muss der Forscher glaubhaft systematische Reviews zum Nutzen von Tierver- darlegen, welchen Nutzen sein Tierversuch im suchen und fanden sechs Reviews, die explizit Vergleich zum sicheren Leiden/Tod für das Tier der Frage nachgingen, wie die Tierversuche die bringen wird. Der Nutzen kann relativ leicht po- stuliert werden, und der Beweis des fehlenden Eines der erstaunlichsten Ergebnisse war fol- Nutzens ist äusserst schwer zu erbringen, da er gendes: In mehreren Studien fanden sie, dass meist erst nach Jahren bis Jahrzehnten beurteilt Studien gleichzeitig beim Menschen wie am Tier werden kann. Bis dann interessiert sich jedoch Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2007;88: 31/32 Ä r z t i n n e n u n d Ä r z t e f ü r T i e r s c h u t z i n d e r M e d i z i n
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niemand und auch keine Behörde mehr für einen stellt. Schlimmer noch: Selbst bei diesen weni- mittlerweile dermassen verjährten Versuch.
gen Studien konnte die im Tierversuch bestätigte Untersucht wurden 51 in Bayern genehmigte Hypothese nicht in eine neue Therapie beim Tierversuchsanträge zwischen 1991 und 1993.
Menschen umgesetzt werden, da entweder kein Evaluiert wurde einerseits, ob die Belastung für therapeutischer Effekt nachweisbar war oder die die Tiere im Versuch wirklich den Angaben im Befunde am Menschen denjenigen des Tierver- Versuchsantrag entsprach. Es zeigte sich, dass in zwei Dritteln der Versuche die Belastung der «[…] nur bei 4 Studien (0,3 %) wurde ein direkter Zu- Tiere im Antrag zu niedrig eingeschätzt worden sammenhang zwischen tierexperimentellen Befun- den der Antragsteller und den gefundenen Ergebnis- Zweitens wurde untersucht, ob die Projekte je zu wissenschaftlich weiterführenden Erkennt- Doch selbst hier konnte die im Tierversuch bestätigteHypothese klinisch nicht in eine neue Therapie am nissen beitrugen. Von den 51 bewilligten Tier- versuchen waren 35 ausdrücklich vom Antrag- Entweder war kein therapeutischer Effekt nachweis- steller nicht als Grundlagenforschung deklariert.
bar oder die Befunde am Menschen widersprachen Trotzdem erreichten von diesen 35 nur 8 das angegebene Versuchsziel, und 3 erreichten esteilweise. Erstaunlich war weiter, dass das Ver- Acad Emerg Med 2003
suchsziel um so häufiger erreicht wurde, je gerin- Bebarta V, Luyten D, Heard K. Emergency medicine ger die Belastung der Tiere im Versuch war und animal research: does use of randomization and je evolutiv niedriger die gewählte Versuchstier- blinding affect the results? Acad Emerg Med. 2003; art war. Insbesondere erreichte kein einziger der Versuche mit schwerster Belastung für das Tier In dieser Arbeit gingen die Forscher der Frage nach, ob Tierversuche den Anforderungen an eine wissenschaftlich saubere Methodik genügen.
schen der Qualität des Versuchsantrags und dem Bei klinischen Studien ist es heute Standard, Erreichen des Versuchsziels. Die Autoren kamen diese doppelblind und randomisiert durchzu- zum Schluss, dass Anträge mit Standardformu- führen. Nicht hingegen bei Tierversuchen. Feh- lierungen nur mit der Häufigkeit von Zufalls- lendes Blinding und fehlende Randomisierung treffern für den Menschen relevante Erkennt- führen nachgewiesenermassen zu einer Über- schätzung eines Effekts gegenüber klinischen Das Fazit dieser Forscher: «Wir kommen zu Studien mit diesen Massnahmen. Die Autoren der Annahme, dass offensichtlich Erkenntnisse untersuchten deshalb, ob diese zwei Studien- aus Tierversuchen nicht das halten, was (sich) techniken nicht doch auch einen Einfluss auf Tierexperimentatoren für den Menschen ver- Sie fanden: «These results suggest that animal studies that do not utilize Randomization andBlinding are more likely to report a difference be- – «Versuchsvorhaben, die dem Tier schwere Leiden (Belastungsgrad 2) verursachen, sind besonders tween study groups than studies that employ zu begründen. Der Belastungsgrad 3 (schwerste Belastung) sollte in keinem Fall mehr genehmigtwerden.» British Medical Journal 2002
– «Jedes genehmigte Versuchsvorhaben ist einer strikten Erfolgskontrolle zu unterwerfen. Diese ist Roberts I, Kwan I, Evans P, Haig S. Does animal den Mitgliedern der Tierversuchskommission zu- experimentation inform human healthcare? Obser- vations from a systematic review of internationalanimal experiments on fluid resuscitation. BMJ. Die Nachfolgearbeit 2006 ging der Frage nach, ob die Resultate der Tierversuche mittlerweile Auch diese Arbeit befasste sich mit der metho- Eingang in die Medizin gefunden hatten. Unter- dischen Sauberkeit von Tierversuchen anhand sucht wurde dies mittels Zitierhäufigkeit, Zitier- eines Reviews der Literatur zum Thema «fluid re- verlauf sowie der Kontrolle, ob die Arbeiten in suscitation in uncontrolled haemorrhage». Sie klinische Studien oder Reviews Eingang gefun- fanden wesentliche methodologische Mängel und forderten eine bessere Dokumentation, Das Ergebnis war erschütternd: Nur bei 0,3 % Randomisierung, statistische Methodologie und der Studien wurde ein Zusammenhang zwischen insbesondere ein vorgängiges systematisches tierexperimentellen Befunden der Antragsteller Review der entsprechenden Literatur.
Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2007;88: 31/32 Ä r z t i n n e n u n d Ä r z t e f ü r T i e r s c h u t z i n d e r M e d i z i n
O R G A N I S AT I O N E N D E R Ä R Z T E S C H A F T
«A systematic review of animal experiments on fluid suche glaubten und deshalb beschlossen, Nimo- resuscitation found that most studies were under- dipin so oder so am Menschen zu erproben. Wei- powered and provided little information on possi- ter heisst dies aber auch, dass die Tierversuche ble bias.»«Systematic reviews of animal experiments would keinerlei Konsequenzen hatten und somit nicht help to ensure that animal experiments do not set out to answer questions that have already beenanswered, reduce bias and increase precision, andprovide reassurance about whether the results can Als Schlusswort wissenschaftlicher Publikatio- nen zur Relevanz von Tierversuchen wollen wir «Prospective registration of animal experiments would help to avoid publication bias.»«On methodological grounds, animal experimenta-tion would better contribute to human health care Stroke 1990
if we promoted registration, randomisation, and Wiebers DO, Adams HP Jr, Whisnant JP. Animal models of stroke: are they relevant to human disease?Stroke. 1990;21(1):1-3. Stroke 2001
«Ultimately, however, the answers to many of our Horn J, de Haan RJ, Vermeulen M, Luiten PG, questions regarding the underlying pathophysiol- Limburg M. Nimodipine in animal model experi- ogy and treatment of stroke do not lie with con- ments of focal cerebral ischemia: a systematic review. tinued attempts to model the human situation per- fectly in animals, but rather with the developmentof techniques to enable the study of more basic Diese Arbeit ging der Frage nach, warum sich metabolism, pathophysiology, and anatomical im- Nimodipin in klinischen Studien als nicht wirk- sam erwiesen hatte, obwohl vorgängige Tierver-suche vielversprechend gewesen waren. Zusammenfassung
Sie kam zum Schluss, dass die Tierversuche Die hier aufgeführten Studien kommen zu die- von schlechter methodischer Qualität waren und der effektiv geringe Nutzen von Nimodipin 1. Tierversuche entsprechen oft nicht den An- so klein war, dass klinische Studien in grossem Rahmen gar nie hätten angeschlossen werden dürfen. Überraschenderweise fanden sie auch, dass 2. Tierversuche widersprechen (zu) oft den Er- klinische Versuche teils gleichzeitig mit den Tier- versuchen liefen statt danach, wie man es erwar- 3. Tierversuche werden oft gleichzeitig mit oder ten würde, wenn die vorgängigen Tierversuche gar nach klinischen Studien durchgeführt.
wichtig wären für die klinische Anwendung.
Dies untergräbt den Glauben an die Notwen-digkeit der Tierversuche vor der Anwendung «We conclude that the results of the animal experi-ments reviewed in the present investigation did not show convincing empirical evidence to substantiate 4. Diese wissenschaftlichen Arbeiten beweisen, the decision for trials with nimodipine in stroke pa- dass auch heute noch zahlreiche unnötige «Surprisingly, we found that animal experimentsand clinical studies ran simultaneously.» 5. Zur Verbesserung der Qualität der Tierversu- che, insbesondere zur Vermeidung des «publi- Hieraus kann man nur schliessen, dass die For- cation bias», ist die Einführung von Studien- scher selbst nicht an die Relevanz der Tierver- registern auch für Tierversuche zu fordern.
Schweizerische Ärztezeitung | Bulletin des médecins suisses | Bollettino dei medici svizzeri | 2007;88: 31/32

Source: http://www.ag-gegen-tierversuche.de/media/pdf/SAEZ_Tierversuche_Studien_Original.pdf

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